Parviz Yahyavi

Parviz Yahyavi

Wie sind Sie als iranischer Dirigent auf die Ukraine gekommen?

Bei meinem ersten Studium der Komposition im Iran stieß ich schnell an meine Grenzen. Ich wollte weiterkommen und habe deshalb in Kiew ein Kompositionsstudium begonnen und die russische Sprache studiert. Die Qualität des Studiums schien mir nach einem Jahr nicht sehr hoch zu sein, worin ich mich aber damals irrte. Ich dachte, ich gehe nach Wien, um die Umstände zu verbessern. Nach ein bis zwei Monaten habe ich verstanden, dass man hier überhaupt nicht vernünftig Komposition studieren kann.

Man lernt hier die Grundlagen zwar die Grundlagen der klassischen Musik, darf diese aber nicht in der eigenen Musik anwenden, unter der Androhung von Disqualifikation. Zum Beispiel lernt man Harmonie und Kontrapunkt, muss bei der Abschlussprüfung aber Avantgarde-Musik schreiben. Ich verstehe nicht, warum man in der Aufnahmeprüfung in Harmonielehre, Fuge, Orchestration und Kontrapunkt geprüft wird, diese dann vier Jahre von Grund auf lernt, aber dann nicht benutzen darf. An der Universität für Musik und darstellende Kunst habe ich im Jahr 2011 sogar ein längeres Gespräch darüber mit einem Professor geführt.

Und was kam bei diesem Vorstellungsgespräch heraus?

Er fragte mich, welcher Komponist mein Vorbild wäre. Auf meine Antwort (Mozart) sagte er, davon hätten Sie genug, sie machen hier etwas ganz anderes. Sie könnten so jemanden wie mich nicht akzeptieren.

Daraufhin habe ich eine Diskussion begonnen. Zum Beispiel habe ich angeführt, dass man in den USA in den Kompositionsstudien zwischen klassischer Komposition, elektronischer oder moderner Musik entscheiden kann. Ich habe mich im Internet mit der Musik einiger Absolventen dieser Universität vertraut gemacht, konnte aber nichts davon mit meinen eigenen Gedanken zusammenstimmen. Ich fragte mich, warum ich Musik schreiben solle, an die ich nicht glaube.

Und wie denken Sie heute über moderne Musik?

Ich akzeptiere das als Conceptual Art, aber nicht als Komposition. Das ist nur meine Meinung. Es ist natürlich hohe Kunst, aber in unmittelbarer Nähe zur Philosophie. Meiner Ansicht nach ist Kunst eine besondere individuelle Vorstellungskraft, die über künstlerische Mittel realisiert wird. Das Problem der konzeptuellen Komposition ist für mich, dass jedes Konzept eine ganz unterschiedliche individuelle Bedeutung für jede beliebige Person hat, womit das Konzept nicht kritikfähig ist. Es muss in der Musik aber gewisse Regeln geben. Ich glaube, dass es besser ist, wenn die Musik ein bisschen in Relation zu unserer Gesellschaft steht. Und diese kennt schließlich auch Regeln, was würde etwa passieren, wenn die Straßenbahn nach einem modernen, ungewöhnlichen Fahrplan fahren würde, könnten wir das akzeptieren? Beziehen sich die Avantgarde-Komponisten wirklich auf unsere moderne Gesellschaft mit dem was sie schreiben?

Aber noch einmal zurück zum Studium. Ich sehe ein Hauptproblem darin, dass nichts von dem, was die Studenten lernen, damit zu tun hat, wie sie komponieren. Zum Beispiel lernen sie Harmonie, schreiben aber keine zwei aufeinanderfolgende Akkorde, sie lernen Orchestration, spielen die Flöte aber falsch herum oder liegen auf dem Boden, spielen Violoncello, werfen einen Aschenbecher auf das Klavier und sagen „Das ist meine Musik“. Es ist verwunderlich, dass das Publikum darauf positiv reagiert und mit großer Bewunderung applaudiert. Eine Musikentwicklung ist aber nicht ohne Instrumentenentwicklung möglich, die dieser Musik genau korrespondiert. Warum sollte man so viel Geld, Arbeit und Zeit in etwas investieren, was man hinterher nicht benützt?

Sicherlich ist das nicht überall so, das sind nur meine Erfahrungen, die ich hier in Wien gemacht habe. Deshalb habe ich mich relativ schnell entschieden, hier auf gar keinen Fall Komposition zu studieren. Ich brauchte einen festen Grund, ich wollte etwas über Beethoven, Bach, Mozart hören. Deshalb habe ich als Plan B am Konservatorium mit einem Dirigierstudium begonnen.

Und wie schließt sich der Kreis zur Ukraine?

Am Konservatorium war ich mit dem Lehrangebot unzufrieden, einige der Lehrenden hatten selbst wenig Erfahrung im Orchesterdirigieren. Deshalb habe ich dieses Studium bald hinter mir gelassen und Privatunterricht bei den bekannten Dirigenten Alexander Rahbari und Leopold Hager, später bei Vladimir Garkusha genommen.

Mein erstes Konzert in der Ukraine war schließlich am 18.1.2013, mit einem sehr begabten, jungen Orchester der Universität von Kharkov. Weitere Konzerte folgten bald, wovon ich die meisten bisher in Dnjepopetrovsk gemacht habe. Mit den Dnjepopetrovsker Philharmonikern und dem Opernhaus habe ich z.B. Schwanensee und das Mozart-Requiem dirigiert, am 15.02.2015 werde ich dort die Oper Pagliacci dirigieren.

Können Sie den Opern- und Konzertbetrieb in der Ukraine beschreiben?

In der Ukraine sind die Rahmenbedingungen sehr schlecht. Für die Inszenierungen fehlen die Materialien und die Räume haben meist eine sehr schlechte Akustik, z.B. wurden alte Kinosäle zu Opern- oder Konzertsälen umgebaut. Die Musiker sind zwar sehr gut, vor allem die Geigen, aber da das Geld fehlt, ist die Motivation sehr gering. Ein Musiker bekommt umgerechnet ca. 150 bis höchstens 250 Euro im Monat in einem staatlichen Orchester. Davon kann der Lebensunterhalt nicht bestritten werden und die Musiker sind gezwungen in mehreren Orchestern zu spielen. Deshalb stehen die ukrainischen Orchestermusiker sehr unter Stress und wollen möglichst wenig proben, da sie an einem Tag in verschiedenen Orchestern spielen müssen und kaum freie Zeit haben. Dirigenten und Solisten aus dem Ausland können aus finanziellen Gründen nicht eingeladen werden. Heimische Künstler treten für sehr wenig Geld auf, einige junge Dirigenten sogar ohne Gage. Unter diesen Bedingungen leidet natürlich die Qualität der Aufführungen.

Wie sieht die Programmgestaltung aus?

Das Programm wird im Internet höchstens ein bis zwei Monate im Voraus bekannt gegeben. Manche Theater oder Konzerthäuser haben gar keinen Internetauftritt und entscheiden eine Woche oder sogar einen Tag vorher welches Programm und mit welchen Solisten gespielt wird. Das ist sehr stressig für alle Beteiligten. Aufgrund der unruhigen politischen Lage kann die Regierung die Musik nicht finanzieren, jedes Orchester und jedes Opernhaus muss seine eigene Lösung hinsichtlich ihrer finanziellen Probleme finden.  Leider hängt das Überleben einzelner Opernhäuser davon ab, eine geplante Oper zugunsten eines Pop-Konzertes abzusagen, weil der Pop-Sänger eine entsprechende Miete für den Saal bezahlen kann. Bei so einer Situation ist es unmöglich auf längere Sicht zu planen.

Gibt es Unterschiede im Repertoire zwischen den westlichen und östlichen Gebieten der Ukraine?

Das Repertoire ist eigentlich ähnlich wie in Wien. Das Publikum liebt vor allem Mozart und Johann Strauß, aber eigentlich jede Opernaufführung. Die Leute kommen in die Fledermaus, genauso wie zu Carl Orff, Puccini, Strawinskij oder Mahler. Trotz der Unruhen besteht reges Interesse an Opernaufführungen und Ballett. Es wird im Moment fast immer dasselbe gespielt, z.B. Schwanensee oder Walzer von Johann Strauß. Die Eintrittspreise sind für alle leistbar, ein Ticket kostet zwischen 2€ und 13€.
In der ganzen Ukraine wird beides, russisches und europäisches Repertoire gemischt gespielt. Aber ein positiver Punkt, den ich bemerkt habe: Es werden oft Werke von zeitgenössischen Komponisten gespielt. Ich glaube, dass die Komponisten in der Ukraine sehr glücklich sind.

Wie läuft der Kulturbetrieb in der Ostukraine angesichts der Unruhen?

Die Künstler unterstützen die Gesellschaft und versuchen durch ihre Musik die Stimmung etwas aufzuhellen, viele arbeiten derzeit ohne Gage. In Donbas ist gerade Krieg, aber in der Oper finden Aufführung statt und der Eintritt ist gratis. Die Menschen dort haben Angst, aber die Musiker kommen jeden Tag zur Probe und auch das Publikum kommt.

Ich glaube, dass sich die musikalische Ausbildung auf einem hohen Niveau befindet, aber leider haben die Absolventen nach dem Studium kaum eine Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und in ihrem Beruf zu bleiben. Die Kunst hat einen hohen Stellenwert in der Ukraine. Eine Vielzahl an Musikern, Opernsängern,  und Ballett-Tänzern haben Engagements auf der ganzen Welt. Die meisten verlassen die Ukraine, und die Verbleibenden müssen mit der Situation kämpfen.