Susanna Fischerauer im Gespräch mit Wolfram Eschenbach, dem Vorsitzenden der Hasse-Gesellschaft München
1. Wie kam es zur Gründung des Vereins?
Am 09. Juli 1986 wurde der Verein mit sieben Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen. Zwei davon, namentlich Frau Biehl und Frau Barta, hatten bereits zuvor versucht diese Musik ohne einen Verein publik zu machen, sind dabei allerdings auf große Schwierigkeiten gestoßen. Eine Vereinsgründung aus der Initiative zweier Damen war vor 30 Jahren noch exotisch und wurde nicht richtig ernst genommen. Der Sachverhalt wurde im Freundeskreis besprochen und man entschloss sich schließlich gemeinsam, diesen Verein zu gründen.
2. Warum wurde eine Hasse Gesellschaft ausgerechnet in München gegründet, obwohl Hasse hier gar nicht gewirkt hat?
Frau Biehl hatte damals von ihrer Mutter Hinweise bekommen, dass eine entfernte Verwandtschaft zu Hasse besteht. Während einer schweren Krankheit musste sie immer wieder an Hasse denken, konnte sich durch seine Musik Linderung verschaffen und meinte daraufhin: „Jetzt mache ich auch was für Hasse – er hat auch was für mich getan!“. Gegründet wurde die Hasse Gesellschaft allerdings nicht direkt in München, sondern in Weilheim in einem kleinen Schlösschen, welches als Domizil für Konzerte zur Verfügung gestellt wurde.
3. Wie sahen die Anfänge der Hasse-Gesellschaft aus?
Ich bin im Jahr 1999 hinzugekommen, im selben Jahr, in dem ich zum Vorsitzenden gewählt wurde. Bis 1999 hat Frau Biehl den Verein geführt. Die erste große Arbeit, die wir zu erledigen hatten, war damals die Organisation einer Reise nach Warschau mit einigen Mitgliedern, zum 300-jährigem Geburtstag von Johann Adolf Hasse. Dann haben wir jedes Jahr eine Geburtstagsreise in verschiedene Örtlichkeiten gemacht, wo Werke von Hasse dargeboten wurden und gewisse geschichtliche Verbindungen vorhanden waren.
4. Wie sieht es mit dem Notenmaterial aus? Gibt es überlieferte Gesamtausgaben?
Nein, aber daran wird gearbeitet. Das macht v.a. die Hasse-Stiftung in Hamburg. Die wissenschaftliche Ausgabe betreut Herr Hochstein, ein Professor an der Universität Hamburg, der sich allerdings nicht mit den Opern, sondern zunächst mit den geistlichen Werken beschäftigt, was einige Zeit in Anspruch nimmt. Roland Schmidt-Hensel, stellvertretender Leiter der Musikabteilung der Staatsbibliothek Berlin hat ein Grundsatzwerk über Hasses Opern geschrieben. Es ist ein wissenschaftliches Werk, keine Edition der Werke. Schmidt-Hensel war auch für uns immer wieder ein guter Ansprechpartner, wenn Theaterhäuser Opern von Hasse aufführen wollten und nach Ideen und Empfehlungen gefragt haben.
Ein weiterer Professor, Herr Riedel, der früher an der Uni Mainz tätig war, hat sich nebenbei mit Hasse beschäftigt und im österreichischen Kloster Göttweig eine Musiksammlung unter seine Fittiche genommen, wo u.a. zahlreiche Hasse-Noten vorhanden sind. Wir haben eine Gesellschaftsreise dorthin unternommen, um das Archiv zu besichtigen. Es gibt dort einen sehr großen Raum, in dem seine Werke entsprechend katalogisiert sind.
5. Warum ist Hasse, damals so erfolgreich, heute so wenig bekannt?
Grundsätzlich muss man sagen, dass es vielen Komponisten so erging, ich glaube sogar Bach war zwischenzeitlich vergessen. Das Problem ist, dass Hasse nicht viele Instrumentalwerke geschrieben hat, darunter wenig spannende Sachen – sehr viel, für damalige Zeit, übliche Musik, die nicht besonders heraussticht. Was Hasse tatsächlich besonders gut gemacht hat, sind Instrumentalwerke mit Stimme, auch Chöre. Spannend ist natürlich auch die enge Zusammenarbeit mit Metastasio, dem damalig wahrscheinlich berühmtesten Librettisten.
Es musste sich damals erst einmal jemand finden, der solche Opern aufführt. Heutzutage ist es das gleiche: In keinem der großen Häuser besteht der Mut dazu, solche Aufführungen zu machen. Da wird lieber irgendein moderner Komponist und Dramaturg beauftragt, ein Libretto zu schreiben, als ein altes Werk auszugraben. Es gibt einfach keine größere Operninstitution, die sich der Sache annimmt. Man muss auch sehen, dass das nicht ganz einfach ist, da man die sechzig Opern erst einmal einer eingehenden Prüfung unterziehen müsste. Das ist bis heute noch nicht geschehen; Ich würde fast wetten, dass es niemanden gibt, der sich alle Opern im Detail, in der Partitur, angesehen hat.
Ein weiterer Grund warum Vieles von Hasse vergessen wurde ist der, dass ein Großteil seiner Werke im Kriegsgeschehen, beim Beschuss Dresdens durch die Preußen, verbrannt wurden. Im Fall von Hasse hat sich danach niemand mehr um die Publikationen gekümmert, weswegen man die Ausgaben jetzt in ganz Europa zusammensammeln muss.
6. Gab es in letzter Zeit Aufführungen von Werken Hasses, die Sie unterstützt haben? Und wie läuft so ein Projekt dann ab?
Vor vier Jahren haben wir beispielsweise die Aufführung der Oper Didone abbandonata unterstützt. Die Theaterakademie des Prinzregententheater gibt regelmäßig Aufführungen und die hat natürlich ganz andere Möglichkeiten, auch unbekannte Stücke anzusetzen, weil keine unmittelbaren kommerziellen Verpflichtungen bestehen. Wir haben dann zehn bis fünfzehn im Internet digitalisierte Handschriften der Opern angesehen und überlegt, welches Stück zu den Musikern und der Instrumentierung der Theaterakademie passen könnte. Es blieben drei Opern übrig, worauf Kontakt zum Opernhaus in Versailles aufgenommen wurde. Dort stellte man fest, dass eine der drei ausgewählten Opern dort bereits aufgeführt worden war. Uns wurde angeboten, im Falle einer erfolgreichen Aufführung dieses Werkes damit auch nach Versailles kommen zu dürfen. Ich vermute, dass auf solche Weise auch Kooperationen an größeren Opernhäusern enstehen! Die Hasse Gesellschaft in München finanzierte die gesamte Edition der Didone abbandonata, welche in moderne Noten umgesetzt worden ist. Diese Noten besitzen wir und können sie auch herrausgeben. Das heißt, dass wir die Möglichkeit anbieten, die Noten zu verwenden, ohne z.B. für Rechte an Opernhäuser bezahlen zu müssen.
7. Denken Sie, es ist möglich, Hasse in der Gegenwart wieder aufleben zu lassen?
Ich habe das Gefühl Hasse ist im Moment auf dem Sprung! Ich denke an letzes Jahr: In Leipzig wurde an der Hochschule die Oper Semiramide wieder aufgeführt; Leucippo wurde in Schwetzingen gegeben, wofür wir die Edition bezuschusst haben, und vor kurzem ist die Seroe in Wien gespielt worden. Der Countertenor Cencic hat aktuell achtunddreißig Arien parat, die er präsentieren kann. Er hat hier in München und in Karlsruhe beispielsweise völlig andere Arien gesungen, als auf der CD von ihm zu hören sind. Cencic ist sehr begeistert von Hasse, aber leider kommt er damit nicht an die Deutschen Opernhäuser.
8. Wie sieht es mit aktuellen Projekten und Zielen aus?
In den nächsten zwei, drei Jahren möchten wir noch einmal eine Oper von Hasse herauszubringen. Es gibt auch schon eine konkrete Planung für das Jahr 2017, worüber ich allerdings noch nicht sprechen kann. Außerdem gibt es Beziehungen zum Bayerischen Rundfunkchor, der großes Interesse an einer Zusammenarbeit hat. Dieser plant allerdings seine Programme lange im Voraus, sodass Projekte also erst nächstes oder übernächstes Jahr stattfinden können.
Allgemein gesagt: Wir sind mehr um externe als um eigene Projekte bemüht, da wir Letztere organisatorisch einfach nicht stemmen können. Dass Initiativen von uns aus ergriffen werden, geschieht meistens dann, wenn beispielsweise Jubiläen anstehen. Unser Ziel sehen wir vor allem darin, regelmäßig Opernaufführungen von Stücken zu unterstützen, die noch gar nicht aufgeführt wurden. Ein weiteres Anliegen für die Aufführungen ist es uns, die Ästhetik der barocken Bühnentechnik wieder zum Vorschein bringen.
Herr Eschenbach, vielen Dank für das Gespräch!
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