„Ich will unsterblich werden wie Händel und Hasse.“ Kein Geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart äußerte sich so als Neunjähriger über den Komponisten Johann Adolf Hasse, der  – zusammen mit Georg Friedrich Händel – der einzige wirklich europaweit bekannte deutsche Komponist in den Jahren 1730-1770 war. Für Joseph Haydn galt „dieser auserlesene Tonkünstler“ als Vorbild, Wilhelm Friedemann und Johann Sebastian Bach reisten oft von Leipzig nach Dresden und besuchten Hasses Opern, um „hübsche Liederchen“ anzuhören. Jean-Jacque Rosseau bezeichnete das von Hasse geleitete Dresdner Hofopernorchester als das beste in ganz Europa, der Philosoph Voltaire nannte ihn „den Helden des Jahrhunderts“. Dieser Artikel möchte das Leben des großteils vergessenen Komponisten Hasse beschreiben und versuchen, seine beispiellose kometenhafte Karriere ebenso zu erklären wie sein Vergessen durch die Nachwelt.

Johann Adolf Hasse wurde im Jahr 1699 in Hamburg-Bergedorf als Sohn einer weit verzweigten Organistenfamilie geboren. Sein Vater übernahm zunächst seine musikalische Erziehung. Er sang anfangs im Kirchenchor des Vaters, bekam bereits als Zehnjähriger Stipendien für seine musikalische Ausbildung, studierte ab 1714 Gesang in Hamburg und wurde vier Jahre später von Johann Mattheson als Tenorist in der Hamburger Oper am Gänsemarkt engagiert. Bereits ein Jahr später wechselte er zum Braunschweiger Opernhaus am Hagenmarkt, an dem er „Cammer-Musico“ des Herzogs zu Braunschweig wurde und am 11. August 1721 als 22-jähriger die erste Premiere einer von ihm komponierten Oper (Antioco) nicht nur erlebte, sondern auch deren Hauptrolle sang.

Die großen und bekannten Opernkomponisten dieser Zeit waren jedoch Italiener, und schnell erkannte der hochbegabte junge Hasse, dass auch er – wie vor ihm Georg Friedrich Händel – von den Großmeistern des italienischen Barock lernen müsse, um neue wichtige Anregungen für seine Kompositionen zu erhalten. Er kündigte seine Anstellung in Braunschweig und reiste nach Neapel, wurde dort Schüler von Nicola Porpora und Alessandro Scarlatti und komponierte dort bis zum Jahr 1730 15 Opern, die allesamt aufgeführt wurden. Seinen Durchbruch feierte er mit seiner 90-minütige Serenade Antonio e Cleopatra (1725) für Sopran-, Altsolo und Streicher, deren Arie Morte, col fiero aspetto diesem Artikel beiliegt. Dieses Werk entstand unter dem Einfluss von Scarlatti und bei der Uraufführung sang der damals 20-jährige Jahrhundertkastrat Carlo Broschi (Farinelli) die Sopranpartie. Mit diesem Werk sorgte Hasse erstmals für großes öffentliches Aufsehen in Italien. Der Komponist und Flötist Johann Joachim Quantz berichtet: „Durch diese Serenate erwarb sich Herr Hasse so vielen Beyfall, daß ihm gleich darauf die Musik, der im May dieses Jahres, auf dem königlichen Theater vorzustellenden Oper, zu verfertigen anvertrautet wurde. Und diese Oper hat ihm den Weg zu seinem künftigen Glücke gebahnet.“

Venedig sollte für Hasse einen der wichtigsten Schlüsselmomente seines Lebens darstellen. 1727 wurde Hasse als Kapellmeister an das Conservatorio degli Incurabili Venedig berufen, wo er seine spätere Ehefrau Faustina Bordoni – eine europaweit bekannte und gefeierte Sopranistin, für die bereits Georg Friedrich Händel in London komponierte – kennenlernte, die er drei Jahre später heiratete. Im gleichen Jahr 1730 sorgte die Premiere seiner Oper Artaserse in Venedig (erneut mit Farinelli in der Hauptrolle) für europaweite Beachtung und festigte seinen heldenhaften Ruf in Italien als „il divino Sassone“ („der göttliche Sachse“). Für über 20 Jahre wurde Faustina zur besten und gefragtesten Sängerin der Opern ihres Mannes, der wiederum zahlreiche Rollen und Werke exakt auf die stimmlichen Fähigkeiten Faustinas maßschneiderte. So ist es keine Übertreibung, Faustina und Johann Adolf Hasse als das berühmteste und erfolgreichste Künstlerehepaar des 18. Jahrhunderts zu bezeichnen.

Johann Adolf Hasse

Im Sommer 1731 gastierten Hasse und seine Frau Faustina mit der Uraufführung der Oper Cleofide am Dresdner Hof. Seit 1729 war der dortige Posten des Hofkomponisten und Kapellmeisters vakant, und die Tochter von August dem Starken und Ehefrau des sächsisch-polnischen Kronprinzen Maria Josepha stand am stärksten hinter den Anstrengungen, den Posten mit Johann Adolf Hasse neu zu besetzen und dadurch eine der besten Sängerinnen Europas ebenfalls an den Hof zu binden. Der Erfolg der Cleofide war unbeschreiblich und der Höhepunkt seines bisherigen Schaffens. Hasse verstand es, mit dem Orchester auf höchstem Niveau zu proben, engagierte sowohl hochkarätige Instrumentalsolisten wie auch neben Faustina in der Titelrolle zahlreiche national und international renommierte Sänger und sorgte für eine prächtige Inszenierung an Europas größter Bühne, dem Großen Königlichen Opernhaus am Zwingerhof, das über 2000 Plätze verfügte. Das Libretto der Cleofide, die der Gattung opera seria angehört, schrieb Metastasio, den Hasse Jahre zuvor in Neapel kennenlernte, und wurde von Michelangelo Boccardi nachbearbeitet, sodass Faustina als Cleofide zur Hauptfigur der Handlung wurde. Das Publikum und die Musiker bewunderten den ausdrucksvollen, aber immer natürlichen und eleganten Stil Hasses, die Sänger waren wegen seiner äußerst wirkungsvollen und für die jeweiligen individuellen Stimmen geschriebenen Partien begeistert und dankbar, und das Dresdner Orchester konnte wegen Hasses akribischer und motivierender Probenarbeit glänzen. Der Anfangssatz der im dreisätzigen italienischen Stil geschriebenen Ouvertüre dieser wohl wichtigsten Oper, die Hasse komponiert hat, liegt diesem Artikel ebenfalls bei.

August der Starke verlieh Hasse darauf den Titel des „Königlich Polnischen und Kurfürstlich Sächsischen Kapellmeisters“, dessen Amt Hasse jedoch wegen zahlreicher bestehender Verpflichtungen in Italien erst im Jahr 1734 offiziell antreten konnte. Hasse begründete mit seinem dreißigjährigen kompositorischen Schaffen in Dresden eine Ära, die mit den Regenten Friedrich August II. von Sachsen und August III. von Polen zusammenfiel und eines der erfolgreichsten Kapitel der europäischen Operngeschichte wurde. Das Ehepaar erhielt jährlich 6000 Taler für ihre Tätigkeit am Hof und waren damit die bestbezahltesten Musiker in Europa. Während dieser Zeit schrieb Hasse mehr als 45 Opern (darunter u.a. Didone abbandonata im Jahr 1742, eine für Hasse sehr charakteristische Arie daraus liegt ebenfalls diesem Artikel bei) und Intermezzi, sowie einige Oratorien, Messen, Kirchenwerke, weltliche Kantaten und Instrumentalwerke und wurde als Komponist das letzte Idol des Spätbarocks. Er schrieb hauptsächlich Opern im Stil des „Dramma per musica“ und verwendete großteils Libretti von Pietro Metastasio. Sein einzigartiger, klangschöner Stil vereint die Ausdruckskraft der Barockzeit mit klassischer Leichtigkeit, während sich in der gleichen Zeit Komponisten wie Joseph Haydn vom barocken Stil nahezu komplett abwenden. Hasse entwickelte das Dresdner Orchester wie auch das Sängerensemble zum besten Opernhaus Europas. Jean-Jacques Rousseau veröffentlichte die von Hasse intendierte Dresdner Orchestersitzordnung als Musterbeispiel und Empfehlung für andere Orchester. Tourneen führten das Ehepaar durch ganz Europa, nach Berlin, Warschau, Paris, München, Wien und in die musikalischen Zentren Italiens.

Nach der letzten Aufführung der Oper Ciro riconosciuto beendete Faustina ihre Gesangskarriere aus unbekannten Gründen im Jahr 1751. Die letzte für den sächsischen Hof geschriebene Oper L’Olimpiade wurde im Jahr 1756 uraufgeführt, danach erschwerte der Ausbruch des Siebenjährigen Krieges Hasses Arbeitsbedingungen bedeutend. Beide verbrachten die Jahre in Italien und Österreich und zogen, nachdem 1760 zusammen mit ihrem Dresdner Wohnhaus eine vorbereitete Gesamtausgabe der Werke Hasses abbrannte, im Januar 1761 nach Wien. Hasse fand dort als Musiklehrer der Erzherzoginnen Marie Antoniette und Maria Carolina eine vorübergehende Anstellung. Nach Kriegsende kehrten der Dresdner Hof wie auch das Ehepaar Hasse im Sommer 1763 nach Dresden zurück, wurden aber nach dem Tod von August III. von dessen Nachfolger Friedrich Christian aus finanziellen Gründen – der Krieg hatte das Land ruiniert – entlassen. Hasse kehrte nach Wien zurück, wo die Zahl der Anhänger der Opernreform um Christoph Willibald Gluck wuchs, jedoch hing der kaiserliche Hof in Wien an der traditionellen Opera seria. Die Mozart-Familie schätzte ihn als „Musick-Vatter“, für Haydn war er „nicht nur musikalischer, sondern geistiger Vater“. Den letzten Auftrag seines Lebens erhielt Hasse von Maria Theresia im Jahr 1771, die Festoper Il Ruggiero nach dem neuen Libretto von Metastasio zur Hochzeit des Erzherzogs Ferdinand zu komponieren. Diese Oper wurde im Oktober 1771 in Mailand uraufgeführt. Weitaus größere Beachtung erhielt jedoch die Aufführung der Oper Ascanio in Alba am nächsten Tag von Wolfgang Amadeus Mozart. Hasse war nicht verbittert, sondern äußerte sich voller Anerkennung: „Dieser Knabe wird uns alle vergessen machen.“ Seine letzten Lebensjahre verbrachte das Ehepaar Hasse in Venedig; 1781 starb Faustina, zwei Jahre später ihr Mann – beide sind in der Kirche San Marcuola in Venedig begraben.

Hasse hinterließ seiner Nachwelt zahlreiche Werke der Opera seria, die der Librettist Metastasio, dessen Werke von allen namhaften Komponisten der Zeit vertont wurden, als genial erachtete und Hasses Vertonungen mehr als die seiner Zeitgenossen schätzte. Bis zum Ende seines Lebens blieb Hasse dieser Gattung, samt der dazugehörigen Da-capo-Arienform treu und stellte sie nie in Frage. Diese traditionelle Denkweise des wohl letzten musikalischen Repräsentanten der letzten Züge des Absolutismus kurz vor dem allumfassenden gesellschaftlichen Umbruch der Französischen Revolution, die Hasse bis zum Beginn der Blütezeit der Klassik behielt, mag der Hauptgrund sein, warum ein Großteil seiner Werke nach seinem Tod in den Archiven verschwand und erst durch den Pioniertrend der letzten 20 Jahre wieder entdeckt wurde. Ich möchte mit einem Zitat des französischen Musikkritikers Romain Rolland schließen, der in seiner Musikalischen Reise in das Land der Vergangenheit (1922) schreibt: „In Wahrheit gibt es keine schönere melodische Zeichnung als die bei Hasse – nur Mozart ist ihm darin noch vergleichbar. Dass dieser bewundernswürdige Mann so vergessen werden konnte, ist eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten der Geschichte; wir wollen uns bemühen, sie eines Tages wieder gutzumachen.“