Neue Musik. Ein Begriff, der nichtssagender wohl nicht sein könnte. Und doch ist das sehr wohl ein Begriff, unter dem wir uns etwas vorstellen können und zwar nicht nur einen Zeitraum, sondern auch gewisse Stilmerkmale. Oder besser gesagt: Wir können relativ genau benennen, welche Stilmerkmale nicht dazugehören. Keine Tonalität, keine allzu klaren Rhythmen, keine klischeehaften Formkonzepte, wie etwa die Sonatenform etc. Das riesige Feld der Popularmusik zählen wir in unserem üblichen Sprachgebrauch auch nicht dazu.

Die „Neue Musik“ ist also meines Wissens etwas wirklich ganz Neues in der Musikgeschichte: Erstmals definiert sich eine Musikrichtung eher dadurch, was sie nicht ist, als dadurch, was sie ist. Dass die einzelnen Ausformungen dieses Stils vollkommen unterschiedliche Formen annehmen können, versteht sich von selbst, was die Frage aufwirft, ob man Neue Musik überhaupt als einen „Stil“ bezeichnen kann. Bis inklusive der Romantik bezeichnen wir Musik aus einer bestimmten Zeit mit einem bestimmten Wort und differenzieren kaum zwischen „Epoche“ und „Stil.“ Ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tun wir uns bereits sehr schwer, die Musik zu kategorisieren, wir helfen uns mit dem Begriff „Moderne“ (für die Musik ca. bis 1945), aber wir benutzen eine Vielzahl von Stilbezeichnungen: Expressionismus, Neoklassizismus etc.

Im späteren 20. Jahrhundert fällt es uns aber sogar immer schwerer, Komponierende einem bestimmten Stil zuzuordnen, wir sprechen von Personalstilen und davon, welcher stilistischen Elemente (zB minimalistische Elemente, serielle Elemente etc.) sich eine Komponistin oder ein Komponist bedient. Also scheint zumindest für uns heute die „Neue Musik“ eine Ansammlung an Komponierenden mit verschiedenen Personalstilen zu sein, deren Gemeinsamkeiten darin liegen, wie sie nicht komponieren.

Was heißt diese Situation nun für angehende Komponistinnen und Komponisten? Wie schafft man es, sich als Komponistin oder Komponist zu positionieren, wenn es keinen allgemeinen Stil gibt, den man verfolgen kann, oder mit dem man auch ganz bewusst brechen kann? Wenn man „eh alles“ machen kann, was ist dann noch wirklich neu und aufregend? Und kann man irgend etwas über die mögliche Zukunft der Neuen Musik sagen?

Positionierung

Ich glaube, für eine Positionierung als Komponistin oder Komponist ist es sehr wichtig Visionen zu haben. Zu wissen, was man mit einem Stück beim Hörer erreichen möchte, und dann auch sich genau zu überlegen, wie man dies anstellen möchte. Die meisten Stücke, die als „nicht gelungen“ bezeichnet werden, kranken an einem dieser Punkte: Entweder der Komponist oder die Komponistin wusste nicht so recht, was er bzw. sie mit diesem Stück eigentlich wollte, oder die Umsetzung etwa in Form der Instrumentation oder in Form des Aufbaus des Stückes war nicht gelungen.

Hat man erst einmal für sich selbst Klarheit über diese beiden Punkte, so ist dies ein wichtiger Schritt in Richtung Positionierung, denn man hat dann eher Klarheit darüber, wie man komponieren will, und wie nicht. Um Klarheit zu erlangen, ist es selbstverständlich sehr hilfreich, einfach viel Musik gehört zu haben, damit man auch weiß, wie Andere ähnliche Aussagen wie die eigenen bereits in Klänge geformt haben, bzw. wovon man sich unbedingt abgrenzen möchte.

Was ist noch neu?

Die Frage danach, was wirklich noch neu und aufregend ist, wird nach meinem Empfinden zu oft gestellt. Ich finde nämlich, dass Neuerungen in der Musikgeschichte nie um ihrer selbst willen entstanden sind, sondern dass das, was eine Komponistin oder ein Komponist mit Musik erreichen wollte, neue Ausdrucksmittel verlangt hat. Aus diesem Grund hat Beethoven die Sonatenform stark an ihre Grenzen geführt und aus dem selben Grund haben sich einige Komponierende kurz nach Ende des 2. Weltkrieges der Elektronik zugewandt.

Wenn man also krampfhaft versucht, etwas neu zu erschaffen, ist es so, wie wenn man krampfhaft versucht, ein technisches Gerät zu erfinden: Es wird vermutlich nicht gelingen, und wenn doch, ist die Sinnhaftigkeit des Ergebnisses stark anzuzweifeln. Wirkliche Neuerungen entstehen aus Notwendigkeit heraus, wenn also die Zeit „reif“ für eine bestimmte Art zu komponieren ist. Für uns angehende Komponistinnen und Komponisten bedeutet dies meiner Meinung nach einfach, dass man Musik schreiben soll, die man selber gerne hören möchte, die einem quasi „noch fehlt.“ Dann kann es ohne Weiteres passieren, dass einmal genau aus der Notwendigkeit heraus etwas ganz Neues und noch Unerhörtes gelingt.

Die Zukunft der Musik

Ebenso problematisch finde ich die Frage, wie sich die Musikgeschichte weiter entwickeln könnte. Es ist zugegebenermaßen eine nette Gedankenspielerei, ebenso wie die Frage, wie Mozart komponiert hätte, wenn er 70 geworden wäre, aber leider ebenso gut bzw. schlecht beantwortbar. Wir wissen noch nicht, welche KomponistInnen mit welchen persönlichen Visionen und Interessen und welchem musikalischen Hintergrund in Zukunft Werke komponieren werden, und wenn wir dies nicht wissen, können wir auch nicht wissen, wie diese Werke aussehen werden.

Und das ist auch gut so: Denn eine Musik, von der man, bevor sie überhaupt komponiert wurde, schon weiß, wie sieht aussehen wird, kann meiner Meinung nach nicht interessant und hörenswert sein. Ich finde auch, dass eine gewisse Linearität in (musik-)geschichtlichen Prozessen erst im Nachhinein sichtbar (oder hineingelesen?) wird, warum sich also jetzt schon den Kopf über die Zukunft zerbrechen? Man sieht, auf angehende Komponistinnen und Komponisten warten viele Fragen und Herausforderungen, die jede und jeder für sich selbst beantworten und lösen muss. Ich hoffe, dass die Ergebnisse davon ebenso unterschiedlich und einzigartig sind, wie die Persönlichkeiten der einzelnen Komponierenden.

Von Mathias Johannes Schmidhammer