scrjabinAls Sergei Rachmaninoff die ersten Töne des Prometheus hörte, sagte er zu Skrjabin: „Ich bin verwirrt: Ich bin mir bewusst, dass dies etwas ganz Bemerkenswertes ist, aber ich kann nicht erklären, warum.“ Skrjabin antwortete: „Es ist alles in der Harmonie“.

Im Jahr 1910/1911 schrieb der russische Komponist Alexander Skrjabin (1871-1915) seine symphonische Dichtung Prométhée für Chor, Orchester und Farbklavier, die aber aufgrund der damaligen technischen Beschränkungen nicht aufgeführt werden konnte. Bei der Uraufführung 1915 in New York wurde ein für die zwei sogenannten Luce-Stimmen der Komposition hergestelltes stummes clavier á lumiére verwendet.
Im Prométhée kombiniert Skrjabin die Farben mit unterschiedlichen Ton-Zentren (hier wird nicht von einer Tonart gesprochen, da es in diesem Werk keine bestimmte Tonart gibt). Skrjabin hat damals nicht an tonale Musik gedacht, sondern eine reine synästhetische Musik geschaffen und verwendet.

Diese Zuordnung geht ursprünglich auf die Zeit von Aristoteles um 350 v.Chr. zurück. Aristoteles stellte die Behauptung auf, dass die Harmonie der Farben der Harmonie der Klänge ähnelt. Damit wurde die Voraussetzung für einen späteren Vergleich von spezifischem Licht und Tonfrequenzen geschaffen. In der europäischen Wissenschaft wurde dies später umgesetzt.
Ungefähr zur selben Zeit wie Aristoteles erfand Archytas von Tarentus (ca. 428 bis 350 v.Chr.) die Basis für die von Skrjabin später verwendete Skala. Die Erfindung wurde als eine Kombination der beiden wichtigsten Skalen gesehen: die diatonische (Ganzton oder Vollton-Skala) und die enharmonische (Viertel-Ton-Skala).
Um 1492 wurde die griechische Farben-Musik von Franchino Gaffurio in Europa mit der folgenden Zuordnung wieder eingeführt: kristallene Farbe für dorisch, orange für phrygisch, rot für lydisch und eine undefinierte Mischfarbe für mixolydisch. Diese Einteilung ist zugegebenermaßen etwas vage.

1704 wurde in einer Abhandlung von Sir Isaac Newton zum ersten Mal ein Zusammenhang zwischen den Farben eines Spektrums und den Noten einer Tonleiter hergestellt. In gewissem Sinne war dies ein Rückgriff auf Aristoteles Theorien zu den Ähnlichkeiten von Licht und Ton, wobei Newtons Ideen aber wesentlich aufwändiger und mathematischer angelegt waren.
Einige Musiktheoritiker glauben, dass Skrjabins Farb-Ton Zuordnung von Aristoteles und Newton ausgeht. Wenn diese Annahme stimmt, geht Skrjabin von Newtons mathematischer Basis aus und orientiert seine Farb-Ton Zuordnung am Quintenzirkel, ebenfalls ähnlich wie Newton.
Interessant ist, dass Newton nach der Herausgabe seiner Farb-Ton Zuordnung seine eigene Theorie ablehnte. Die Idee der Farb-Ton-Skala wurde also von Newton beeinflusst, die im Prométhée verwendete Skala stammt jedoch von Skrjabin selbst.

Die Angaben, welche Note welcher Farbe entspricht, stammen von Skrjabins engem Vertrauten und späteren ersten Biographen Leonid Sabaneev. Dieser überliefert uns folgende Farb-Ton Zuordnungen, bei der jedem Ton eine bestimmte Farbe zugeordnet wird. Diese Angabe wurde im Jahr 1911 publiziert.1

Farbzuordnung nach Leonid Sabaneev:
C    rot
Des    violett (lila)
D    gelb
Es    stahlartig mit Metallglanz (bleiern)
E    blau-weißlich (mondfarben)
F    grün
Fis    blau-grell (reines, helles Blau)
G     orange-rosa
As    purpur-violett (lila)
A    grün
B    wie Es
H    ähnlich dem E

Was war die Idee hinter der Farb-Ton Zuordnung im Prométhée? In der Partitur verwendet Skrjabin eine parallel geführte zweigeteilte Lichtstimme. Die obere Stimme verdeutlicht den Grundton des Klangzentrums der jeweils sechstönigen Quartenakkorde, während der Ablauf der unteren in etwa der Form der ganzen Symphonie entspricht.
Von Takt 1 bis Takt 86 bewegt sich die Musik um einen zentralen Ton, das Fis, welchem nach der Farb-Ton Zuordnung von Sabaneev die Farbe knalliges Blau entspricht. Dazu muss angemerkt werden, dass die Farbe hier auch zum Mythos der Musik passt. Prometheus ist noch nicht gekommen, und der Himmel bleibt noch blau.
Von Takt 86 bis Takt 304 wird die Musik immer spannungsvoller. Der Zentral-Ton wechselt nach As, dann nach C; die farblichen Entsprechungen sind purpurviolett und rot. Nachdem Prometheus angekommen ist und die Farbe des Himmels ins Rot übergegangen ist, erreicht die Musik einen eindeutigen Höhepunkt. Von Takt 305 bis zum Ende geht die Farbe wieder zurück ins Blau, der Himmel wird wieder ruhig wie zu Beginn.
Die Hauptteile des Werks laufen ungefähr parallel in drei Phasen in einer ABA-Form ab, farblich entspricht diesen Vorgängen die Farbentwicklung Blau-Rotgelb-Blau. Die untere Lichtstimme ist vermutlich auch Träger eines noch nicht entschlüsselten esoterischen Programmes, das auf dem Symbolwert von Farben basiert.

Diese Angaben wurden Ende der 70er Jahre nach genauer Untersuchung des Autographs von dem Musikwissenschaftler Joseph Lederer bestätigt. In seiner Studie über Die Funktion der Luce-Stimme in Skrjabins op. 60 schreibt er:

„Die Richtigkeit (der Farb-Ton Zuordnungen), die bislang lediglich aufgrund der engen persönlichen Beziehungen Sabaneevs zu Skrjabin angenommen werden konnte, läßt sich nunmehr hier erstmals auch durch autographes Quellenmaterial bestätigen und mit einigen Anmerkungen bzw. geringfügigen Korrekturen versehen.
Es handelt sich dabei um den, von der Pariser Nationalbibliothek im Jahre 1978 erworbenen, aus dem Nachlaß Sabaneevs stammenden Erstdruck der Partitur des Prométhee, der eigenhändige Eintragungen Skrjabins zu Farb-Ton Zuordnungen enthält und ohne Zweifel Sabaneev als Quelle für seine Mitteilung gedient hat.
Nach genauer Untersuchung der ersten 130 Takte der Partitur kann zu diesem ‚Autograph‘ festgestellt werden, daß Skrjabin in geradezu minutiöser Form fast bei jedem Tonwechsel der beiden Lichtstimmen die entsprechende Farbe bzw. Farbmischung hinzuschreibt und mit Bemerkungen aus seiner subjektiven, solipsistischen Empfindungswelt (wie z. B. Sturz in die Finsternis, dunkler Blitz,  furchtbar etc.) versieht.“

Nach Überlieferung des englischen Psychologen Charles Samuel Myers, der anlässlich eines Besuchs Skrjabins in England im Jahre 1914 diesen auf sein Farbenhören hin untersuchte, sagte der Komponist, ein Ton hätte für ihn „an und für sich keine Farbe, er hätte die Farbe seiner Tonart.“ 2
Eigentlich wird eine genaue Farb-Ton Zuordnung bei Skrjabin in der Praxis nie verwendet.

Im der Partitur des Prométhée ist zu sehen, dass Skrjabin Kommentare über die Korrespondenz zwischen Licht, Farben und Tönen nicht nur im Quintenzirkel, sondern auch in der Partitur (in Form von kurzen mystisch wirkenden Beschreibungen) skizziert. Auf diese Art äußern sich Skrjabins synästhetische Ideen dreifach: musikalisch, visuell und in Form von Text.

Aleksandr Mozer, einer der engsten Freunde Skrjabins, baute eine Orgel mit einer Zwölffarben-Lampe für den Prométhée, die heute im Skrjabin State Museum in Moskau zu sehen ist. Die Mozer-Tastatur verband das Licht, die künstlerische Beleuchtung und Skrjabins Mystik.
Skrjabin wird heute jedoch nicht nur wegen seiner harmonischen Vorstöße in Richtung der Atonalität als Wegbereiter für die Zwölftontechnik angesehen, sondern gilt auch wegen seiner Idee einer Verschmelzung verschiedener Künste und Sinneswahrnehmungen als musikalischer Vorseher und Vorreiter. Skrjabin begann im Alter von knapp 20 Jahren an seinem christlichen Glauben zu zweifeln, und befasste sich seither immer eingehender mit theosophisch-mystischer Philosophie.

Für die Uraufführung 1915 entwickelte Skrjabin persönlich ein Farb-Instrument. Mit dieser Farborgel wurden die Luce-Stimmen auf eine große Leinwand projeziert. Der Tag der Uraufführung war zufällig Skrjabins Todestag, der 14. April 1915.
Das Werk zog als eine neue Art von Tonkunst viele Diskussionen und Kontroversen nach sich. Es wurde zu einem Symbol für synästhetische Musik. Durch seine Luce-Stimmen wurde die Verbindung von Ton- und Bildtechnik stark beeinflusst. Viele Komponisten zu und nach seiner Zeit orientierten sich an Skrjabin, z.B. Rimsky Korsakov, Wassily Kandinsky, Olivier Messiaen.
Die Bedeutung und Anordnung der Farben wurde auch von vielen Theoretikern lange diskutiert. Es gibt seit den 60er Jahren eine Forschungseinrichtung in Zürich für synästhetisches Hören. Dabei werden unter anderem folgende Fragen erörtert: Wie definiert man einen Synästhetiker, wie kann man jemanden auf Synästhesie testen? Alle diese Fragen haben eine Verbindung zu Skrjabins Synästhesie.

Im Jahr 1917 wurde das Werk erstmals im Theater Bolshoi in Moskau aufgeführt. Sabaneev spielte die Luce-Stimmen auf einer nachgebauten Farb-Orgel. Aufgrund technischer Mängel erfüllte die Aufführung nicht die Erwartungen des Publikums. Von den Zuschauern wurde die Darbietung mehrheitlich als willkürliches Spektakel empfunden, da ein Zusammenhang zwischen Tonarten und Farben sich den meisten nicht erschloss.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlauben die technischen Möglichkeiten eine Umsetzung, die den Vorstellungen Skrjabins nahe kommen könnte.
Da der Komponist seine Lichtstimme allerdings nicht in schriftlichen Farbanweisungen, sondern in Noten verfasst hat, besteht weiterhin bei jeder der sehr seltenen und enorm aufwändigen Aufführungen eine besondere Herausforderung darin, die persönliche Farbwahl Skrjabins möglichst genau umzusetzen.

Von Tong Zhang

Quellenangaben:

1 http://publib.upol.cz/~obd/fulltext/Musicologica%206/musicol6-9.pdf
2 Myers Ch. Two cases of Synaesthesia. – The British Journal of Psychology, v. VII, pr.1, 1914, p.112-117.

Leonid Sabanejew: Skrjabin, Moskow, 1916 (2nd ed., 1923)
Jörg Jewanski: Von der Farbe-Ton-Beziehung zur Farblichtmusik in: Jörg Jewanski & Natalie Sidler (Hrsg.): Farbe – Licht – Musik: Synästhesie und Farblichtmusik (S.131-209), Bern (u.a.), Lang, 2006
E.E. Garcia: Rachmaninoff and Scriabin: Creativity and Suffering in Talent and Genius. Psychoanalytic Review, 91: 423–42, 2004

Internetquellen:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/77/Scriabin_keyboard.svg
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fb/Scriabin-Circle.svg
http://216.129.110.22/files/imglnks/usimg/5/55/IMSLP05221-Scriabin_A._Le_poeme_du_feu__Prometheus__Op._60__orchestra_music_score_.pdf (Partitur des Prometheus)
http://publib.upol.cz/~obd/fulltext/Musicologica%206/musicol6-9.pdf