Die Vermittlung der Werke lang verstorbener Meister der europäischen Kulturszene – sei es aus der Musik, Malerei oder Literatur – ist ein wichtiger Punkt in der Ausbildung der Jugend; Darin ist man sich in Pädagogenkreisen eigentlich einig. In den Lehrplänen der Schulen ist dies verankert und auch in der Ausbildung der angehenden Pädagogen wird hoher Wert darauf gelegt. Im Gegensatz dazu steht die immer größer werdende Ablehung bzw. das Desinteresse und das Unverständnis der heranwachsenden Generationen für das europäische kulturelle Erbe. Woran liegt das?

Schon in der Schule wird klassische Literatur meist als kompliziert und schwer zugänglich vermittelt. Die Sprache von Schiller, Goethe, Lessing oder anderen großen Meistern der Literatur gilt als verstaubt und nicht zeitgemäß. Im Unterricht und in Klausuren wird trocken und zwanghaft analysiert, was für ein tieferer Sinn, der nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, in den Texten stecken könnte. Bei solch quälendem Unterricht muss man sich nicht wundern, wenn es nach der Klausur z.B. zu einer gemeinschaftlichen Bücherverbrennung von Lessings Nathan der Weise auf dem Schulparkplatz kommt.

Den meisten Deutschlehrern fehlt selbst das Verständnis und die Begeisterung, die nur durch einen natürlichen und emotionalen Zugang entstehen kann. Die kunstvolle Sprache sollte nicht als Hindernis gelten, sondern als lautmalerische Unterstützung des Inhalts und dessen emotionaler Gehalt wahrgenommen werden. Hierbei liegt die Problematik leider in der Ausbildung der Lehrer, sogar schon in der der Professoren an den Universitäten. Leider wird dieses in den Schulen wurzelnde Bild unseres kulturellen Erbes in Unterhaltungsmedien, vor allem Filmen bestärkt.

Zum Beispiel in dem sehr erfolgreichen und durchaus unterhaltsamen deutschen Kinofilm Fack ju Göhte, in dem ein gerade aus dem Gefängnis entlassener Kleinkrimineller an einem deutschen Gymnasium als Lehrer eingestellt wird und dort mit seinen nicht pädagogisch wertvollen Methoden bestens mit den schwierigsten Jugendlichen auskommt. Schiller wird zwar als lesenswert dargestellt, jedoch als sehr kompliziert. Jedes zweite Wort muss nachgeschlagen werden, um den Sinn zu erfassen, was nicht gerade Lust macht ein Schiller-Drama in die Hand zu nehmen.

Die Schüler müssen in diesem Film mit dem Schultheater Shakespeares Romeo und Julia aufführen, wozu sie keine Lust haben, da es ihnen zu langweilig, realitätsfern und unmodern erscheint. Also wird das Drama mit Alltagsprache versehen, etwas umgeschrieben und dadurch cool und modern. Im dritten Teil der Hanni und Nanni Spielfilme geht es ebenfalls um eine Aufführung von Romeo und Julia, die von den gelangweilten Schülern boykottiert wird. Sie bringen ihre eigenen Ideen ein und schreiben das Stück ebenfalls um, hier aber zu einer Art Musical.

Am Ende des Films wird dann aber nur eine Sing-und Tanzeinlage gezeigt, die mit Romeo und Julia nichts zu tun hat. Es wird also die Langweiligkeit und Verstaubtheit von Shakespeare, zu dem man in der Schule gezwungen wird, vermittelt. Da beide Filme ansonsten sehr überzeugend sind wirkt diese Sicht auf die Literatur umso stärker. Hanni und Nanni 3 ist zudem ein Kinderfilm, für eine Altersgruppe die meist zuvor noch keinen Kontakt mit Shakespeare oder anderen Dichtern hatte.

Mit der Vermittlung von klassischer Musik sieht es nicht besser aus. Im Musikunterricht wird an den meisten deutschen Gymnasien hauptsächlich klassische Musik durchgenommen, bzw. die europäische Musikgeschichte. An vielen Schulen unternehmen motivierte Musiklehrer gutgemeinte Ausflüge zu Konzerten, die leider meist als Verpflichtungen oder als willkommene Abwechslung zum Schulalltag wahrgenommen werden. Hinzu kommt die abschreckende Wirkung, die die Konfrontation des ohnehin unerfahrenen jungen Publikums mit zeitgenössischer und atonaler Musik auslöst. (z.B. ein Jugendkonzert im Münchner Gasteig unter Thielemann mit einer Mendelssohn-Symphonie und Alban Bergs Violinkonzert).

Das größte Problem im Musikunterricht ist meiner Meinung nach jedoch die Belohnung mit Popularmusik. Peter Wicke nennt dies in seinem Buch Vom Umgang mit Popmusik die “Bonbondidaktik”1. Bei diesem Nebeneinanderstellen von klassischer Musik als Zwang und Popularmusik als Belohnung ist schon im Vermittlungskonzept die Degradierung der eigentlich zu vermittelnden Musik enthalten. Das gleiche Problem taucht im klassischen instrumentalen Einzelunterricht oder Gesangsunterricht auf. Es wird grundsätzlich klassische Musik unterrichtet und zur Belohnung – als Bonbon – darf der Schüler auch ein Stück aus der Popularmusik spielen oder singen.

Trotz der auf diese Weise enstehenden Degradierung gelten die Werke von Goethe, Schiller, Shakespeare, Mozart, Beethoven, etc. nach wie vor als erhaltenswertes Kulturgut, als unser kulturelles Erbe und werden nicht aus den Lehrplänen verbannt. Das schafft den Pädagogen, Künstlern und Liebhabern die Möglichkeit etwas davon weiterzugeben. Wir lieben die Kunst, weil sie uns emotional anspricht, weil sie zeitlos ist und sich an etwas in uns wendet, das Menschen aus allen Zeiten gemeinsam ist. Über die eigene Begeisterung und einen emotionalen Zugang kann es gelingen, das Interesse junger Menschen dafür zu wecken.

Entweder einen Shakespeare mit Feuer und sprachlicher Schönheit, am besten in Originalsprache, auf die Bühne bringen, oder ein ganz eigenes, selbstentwickeltes Werk! Fort mit Königs Erläuterungen und der Beschränkung auf all diese trockenen Analysehilfen! Schiller sollte für sich sprechen dürfen und die Schüler für den hohen emotionalen Gehalt, der Menschen aller Generationen faszinieren kann, sensibilisiert werden! Die Beschäftigung mit klassischer Musik darf nicht mit Popularmusik belohnt werden, was nicht bedeutet, dass diese aus dem Musikunterricht verbannt werden soll. Jedoch die Gegenüberstellung muss wohl überlegt und gleichwertig geschehen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten wertschätzend gezeigt werden.

Diese Zeilen seien als ein Apell an alle Liebhaber von Musik, Literatur und Kunst vergangener Zeiten betrachtet, unser kulturelles Erbe weiterzugeben, junge Menschen davon zu begeistern, einen emotionalen Zugang zu ermöglichen und damit bestehenden Tendenzen in der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Von Lena Fischerauer


1 Peter Wicke: Vom Umgang mit Popmusik, Berlin 1993, S. 7