Die berühmtesten Violinkonzerte stammen von Beethoven, Brahms, Mendelssohn und Tschaikowski. Manch einer würde zu dieser „ersten Riege“ auch noch die Werke von Bruch, Dvorak, Sibelius oder einige der Konzerte von Bach, Vivaldi oder Mozart zählen. Den wenigsten fiele allerdings ein, das Violinkonzert von Schumann an dieser Stelle zu nennen. Den meisten wird vermutlich nicht einmal bekannt sein, dass Schumann ein deratiges Werk geschrieben hat. Dabei ist es nicht einmal das einzige Stück für Violine und Orchester von ihm: 1853, im selben Jahr, in dem er auch das Violinkonzert vollendete, hatte er bereits die Phantasie für Violine und Orchester, Opus 131, komponiert, ein einsätziges Werk, das heutzutage etwas häufiger den Weg in die Konzertsäle findet als sein großer Bruder. Dass Schumanns Violinkonzert weitgehend unbekannt ist und selten gespielt wird, liegt nicht nur daran, dass das gesamte Spätwerk des Komponisten sehr kontrovers gehandelt wird, wurde Schumann doch bereits 1854 nach seinem Selbstmordversuch in die Endenicher Pflegeanstalt eingeliefert, wo er 1856 verstarb. Nein, es liegt wohl auch daran, dass das Werk eine besondere Entstehungs- und Aufführungsgeschichte hat, die im Folgenden skizziert werden soll.

joseph_joachimDer Anstoß zur Komposition des Violinkonzerts kam wie auch schon bei der Phantasie von dem mit Schumann befreundeten Geiger Joseph Joachim. Dieser hatte 1853 auf dem von Schumann mitgestalteten Niederrheinischen Musikfest mit Beethovens Violinkonzert brilliert und danach in einem Brief an den Freund vermerkt: „Möchte doch Beethovens Beispiel Sie anregen, den armen Violinspielern, denen es, ausser der Kammermusik, so sehr an Erhebendem für ihr Instrument fehlt, aus Ihrem tiefen Schacht ein Werk an’s Licht zu ziehen, wunderbarer Hüter reichster Schätze!“ Nachdem Schumann das Werk vollendet hatte, schickte er es Joachim – wie auch schon bei der Phantasie mit der Bitte um violintechnische Verbesserungsvorschläge. Außerdem trug er ihm die Uraufführung an, die auf dem nächsten Niederrheinischen Musikfest stattfinden sollte. Allerdings durchkreuzte das Düsseldorfer Konzertkomitee diese Absicht, indem es darauf bestand, Joachim solle nochmals das Beethoven’sche Violinkonzert zum Besten geben, was keinen Platz für eine weitere dreisätzige Komposition für Violine und Orchester ließ. Stattdessen sollte Schumanns einsätzige Phantasie aufgeführt werden. Nicht Joachim oder Schumanns Frau Clara versuchten also eine Aufführung des von ihnen für missraten gehaltenen Werkes zu verhindern, wie einige spekulative Aussagen der Schumannliteratur andeuten. Im Gegenteil: Beide hatten sich zuvor recht positiv zum Konzert geäußert, wenngleich Joachim einige technisch extrem anspruchsvolle Passagen vor allem im polonäsenartigen Finale zur Sprache brachte. In einem Brief an den mittlerweile nach Endenich eingelieferten Freund erwähnt Joachim sogar: „Könnte ich Ihnen doch Ihr Dmoll Concert vorspielen; ich habe es jetzt besser inne, als damals in Hannover; wo ich es in der Probe Ihrer so unwürdig spielen mußte, zu meinem großen Verdruß, weil ich den Arm beim dirigieren so sehr ermüdet hatte.“ Und Schumann antwortete darauf: „O könnt ich mein D-moll Concert von Ihnen hören, von dem meine Clara mit so großem Entzücken geschrieben.“ Allerdings setzte nach Schumanns Tod 1856 ein Wandel der Einschätzung nicht nur des Violinkonzertes sondern des gesamten Spätwerks des Komponisten ein. Joachim und Clara Schumann beschlossen das bis dato noch nicht aufgeführte Werk weiterhin der Öffentlichkeit vorzuenthalten, nachdem sie 1857 noch über eine Uraufführung diskutiert hatten. Nun änderte sich auch ihre Einschätzung des Violinkonzerts: Hatten beide vor Schumanns Tod das Konzert sehr geschätzt, so bat Clara Joachim nun gar um eine Bearbeitung des letzten Satzes: „[…], wenn Sie mir einen recht herrlichen letzten Satz gemacht.“ Das Konzert blieb also weiterhin unter Verschluss.

1898 schließlich, auch Clara war inzwischen verstorben, wurde Joachim von seinem Biographen Andreas Moser nach dem Schumann’schen Violinkonzert gefragt, das sich in seinem Besitz befand. Hatte er 1857 noch von „wunderschönen Stellen“ im ersten und zweiten Satz gesprochen, so monierte er nun die hohe violintechnische Schwierigkeit im Gegensatz zur nicht ganz so ausgiebigen musikalischen Substanz und weitere Dinge: „Der Umstand, daß es nicht veröffentlicht worden ist, wird Sie schon zu dem Schluß bringen, daß man es seinen vielen herrlichen Schöpfungen nicht ebenbürtig an die Seite stellen kann. “ Und: „Es muß eben leider gesagt werden, daß es eine gewisse Ermattung, welcher geistige Energie noch etwas abzuringen sich bemüht, nicht verkennen läßt.“ Nachdem 1907 schließlich auch Joachim verstorben war, veräußerte dessen Sohn Johannes einen Großteil der Dokumente und Noten seines Vaters an die Preußische Staatsbibliothek, darunter auch Schumanns Violinkonzert. Allerdings verhängte auch er einstweilen eine Veröffentlichungssperre, die erst 100 Jahre nach Schumanns clara_schumannTod enden dürfe, also 1956. Vorübergehend verschwand das Werk in der Versenkung, obwohl mehrere Leute immer wieder erfolglos versuchten die Preußische Staatsbibliothek zur Herausgabe zu bewegen. Erst als 1935 Georg Schünemann Direktor der Musikabteilung wurde und auch Johannes Joachim durch den befreundeten Verleger Wilhelm Strecker (Schott-Verlag) der Herausgabe zustimmte, war die Stunde des Violinkonzerts gekommen. Es ist allerdings unleugbar, dass die Geschichte der Veröffentlichung eifrig von den nationalsozialistischen Kulturverantwortlichen vorangetrieben wurde. Man suchte einen deutschen Ersatz für das ehemals beliebte, von den Spielplänen gestrichene Violinkonzert des Juden Mendelssohn. Strecker hatte ursprünglich den jungen Menuhin für die Uraufführung auserkoren und dieser hatte sich auch hellauf begeistert, ja emphatisch über den zugesandten Notentext geäußert: „This concerto is the historically missing link of the violin literature; it is the bridge between the Beethoven and the Brahms concertos, though leaning more towards Brahms. Indeed, one finds in both the same human warmth, caressing softness, bold manly rhythms, the same lovely arabesque treatment of the violin, the same rich and noble themes and harmonies. There is also a great thematic resemblance. One is struck with the fact that Brahms could never have been what he was without Schumann’s influence!“ Für die Reichskulturkammer war es aber natürlich undenkbar, das Konzert im Ausland uraufführen zu lassen, zumal mit einem jüdischen(!) Geiger. So fand 1937, 84 Jahre nach seiner Entstehung, die Uraufführung im Deutschen Opernhaus in Berlin anlässlich einer hochrangigen nationalsozialistischen Veranstaltung statt. Eugenie, die jüngste Tochter Schumanns, hatte aus der Schweiz vergeblich versucht, die Aufführung zu verhindern. Georg Kulenkampff übernahm den Solopart, Karl Böhm leitete die Berliner Philharmoniker. Zuvor hatte man das Werk noch von Paul Hindemith bearbeiten lassen, natürlich heimlich, da er den Nazis zu dieser Zeit schon durch seine regimekritischen Äußerungen ein Dorn im Auge war. Hindemith hatte einige Passagen geändert und vor allem im Finale Oktavgriffe eingebaut, wohl um die Brillanz zu steigern. Yehudi Menuhin hingegen machte sich für die originale Fassung stark und spielte diese auch kurz darauf auf Schallplatte ein. Wurde die Uraufführung in Deutschland weitgehend positiv, bisweilen sogar begeistert aufgenommen, so war das Urteil im Ausland kontroverser. Dies lässt sich wohl primär als Widerstand gegen die nationalsozialistische Propaganda des Konzerts deuten und nicht so sehr gegen das Werk selbst. Bis zum zweiten Weltkrieg wurde das Werk noch von verschiedenen anderen Geigern in Deutschland aufgeführt. Der Krieg und die politische Nutzung des Violinkonzerts durch die Nationalsozialisten verhinderten aber eine vorurteilsfreie und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Werk, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. Nach 1945 wurde Schumanns Violinkonzert nur selten aufgeführt, auch wenn einige Geiger wie Menuhin sich sehr dafür einsetzten.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert stiegen dann langsam die Aufführungszahlen, das Werk wurde bekannter gemacht. Peter Tschaikowski, selbst Schöpfer großartiger Musik und großer Bewunderer Schumanns, schrieb 1871 über den bereits verstorbenen Kollegen: In Schumanns Musik »finden wir den Widerhall geheimnisvoller Prozesse unseres Seelenlebens, jener Zweifel, Depressionen und Aufblicke zum Ideal, die das Herz des heutigen Menschen bewegen. Die Geschichte hat für Schumann noch nicht begonnen.« Im Schumann- Jahr 2010 anläßlich seines 200. Geburtstag kann man durchaus sagen, dass die Geschichte für Schumann nun endlich begonnen hat. Immer mehr Musikkritiker und -wissenschaftler sehen nun sein Spätwerk in Kontinuität mit seinem früheren Schaffen. Im Zuge der kompositorisch-ästhetischen Neueinschätzung findet nun auch langsam das Violinkonzert die ihm gebührende differenzierte, vorurteilsfreie Beurteilung. Dieser Artikel will das Schumann Violinkonzert nicht in den Himmel loben oder als Maß aller Dinge hinstellen. Er will nur dazu aufrufen, sich selbst ein Bild von einem Werk zu machen, das nie wirklich eine faire Chance hatte, durch sich selbst zu wirken und die Hörer und Kritiker unbefangen zu erreichen. Wer sich auf dieses Werk einlässt, wird schnell feststellen, dass es alles andere ist als das Werk eines Geisteskranken. Und sollte dieser Jemand dann trotzdem möglicherweise sogar berechtigte Vorbehalte gegen das Schumann’sche Violinkonzert haben, so sei ihm abschließend ein Zitat des Komponisten selbst mit an die Hand gegeben. 1832, als vom Violinkonzert noch längst keine Rede war und Schumann erst wenige Stücke wie die ABBEG-Variationen oder die Papillons komponiert hatte, schrieb er Folgendes in sein Tagebuch: „Es gehört nicht viel dazu, das Meisterhafte anzuerkennen, denn dieses ist eine gereinigte, erhöhte, schöne Natur. Wer aber die einzelnen Vorzüge eines guten, jedoch nicht tadelfreien Werkes nicht auffindet, sieht auch nicht in die tiefen Tugenden eines classischen Werkes hinein.“

Von Justus Bogner

 

Quellen: