Der in der letzten Ausgabe (Ausgabe Nr. 02, August 2011) erschienene Artikel Kirchenmusik in Gegenwart und Zukunft – eine Streitschrift, verfasst von Matthias Flierl ist auf große Resonanz gestoßen.
Wir freuen uns im Folgenden einige Kommentare zu veröffentlichen und möchten unsere Leser für die kommenden Ausgaben zu weiteren Kommentaren ermutigen.
Kommentar von Agnieszka Biaek
In seinem Artikel stellt Matthias Flierl heraus, dass Musik in der Kirche keine Musik des Alltags sein sollte. Das sehe ich genauso. In meiner ersten Zeit in Wien besuchte ich einmal die Abendmesse in einer polnischen Kirche im 3. Bezirk.
In musikalischer Hinsicht war dieser Besuch eine Katastrophe: Ein paar Studentinnen sangen ein-, höchstens zweistimmig mit Gitarrenbegleitung. Alle Lieder klangen wie die schlechtesten Pop-Songs: zwei oder drei sich ständig wiederholende Töne, Pop-Glissandi bei größeren Intervallen und Klatschen. Außerdem ermutigten sie andere Leute immer wieder zum mitsingen und mitklatschen – vorwiegend erfolglos.
In der Abendmesse die Woche darauf wurde der Alleluja-Vers mit einer bekannten Melodie aus dem Film Shrek versehen. Das soll junge Leute anlocken? Ich bin nie wieder hingegangen. Zum Glück gibt es in Wien aber auch noch Kirchen, die man immer gern besucht – nicht zuletzt wegen der guten Musik.
Kommentar von Thomas Cornelius
Kirchenmusik in Gegenwart und Zukunft – eine Streitschrift – unter diesem Titel formulierte Matthias Flierl ausführlich, subjektiv und objektiv zugleich, seine Gedanken zur kirchenmusikalischen Situation in Deutschland. Eine Streitschrift kann man diesen Artikel und das gesamte damit verbundene Thema jedoch nicht nennen, denn es handelt sich hauptsächlich nicht um streitbare Punkte, sondern um sachliche Fakten und ernste Tatsachen aus dem alltäglichen Geschäft.
Im Großen und Ganzen betrachtet erhalten Flierls Gedankengänge meine vollste Zustimmung und Anerkennung, auch wenn einiges bewusst emotional geführt ist. Deshalb möchte ich nun nicht auf jeden seiner detailliert angeführten
Punkte eingehen, sondern nur einige ergänzende Anmerkungen formulieren und wesentliche Kernpunkte verstärkt herausstellen.
Zum Gedanken bezüglich der elektronischen Ersatzinstrumente möchte ich Folgendes ergänzen:
Als Organist darf ich eigentlich kein gutes Wort über Instrumente, die eine Pfeifenorgel ersetzen sollen und deren Notwendigkeit streitbar machen, verlieren, doch muss man anerkennen, dass digitale Orgeln und auch Klaviere in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht haben. So ist dort durch neue Sampling-Methoden und verbesserte Klaviaturen (Druckpunkt-Simulationen), und eben dem allgemeinen technischen Fortschritt – den übrigens Beethoven schon verehrte – Anerkennendes geleistet worden. Es gibt Organisten, die solche digitalen Orgeln sogar einer echten Pfeifenorgel vorziehen. Zu diesen zähle ich mich nicht und wohl auch nicht die werten Kollegen im deutschen Orgelgebiet. Als Interimsorgel kann so ein digitales Instrument durchaus seine Dienste leisten. Allerdings ist mir die Gefahr, die Flierl erkennt und nennt, schon bewusst. Der Laie wird sich fragen, warum man 500.000 € für eine neue Orgel ausgeben soll, wenn man für 50.000 € auch eine große digitale Orgel erwerben kann. Dem könnte man neben einer eingehenden Demonstration vielleicht mit folgendem Vergleich, ohne viel erklären zu müssen, gedanklich auf die Sprünge helfen. Niemand möchte Rennfahrer oder Piloten im Simulator sehen, sondern möchte diese in voller Arbeitskluft im Auto oder Flugzeug erleben.
Das generelle Problem der Orgel und damit verbunden auch der Kirchenmusik ist der gesellschaftliche Stellenwert und deren Akzeptanz, woran wir Organisten mitunter nicht unschuldig sind. Das Kerngeschäft, wie Flierl es nennt, ist der Gottesdienst, das ist vollkommen richtig. Dort zeigen wir unsere Visitenkarte, dort machen wir Werbung für Konzerte und (kirchenmusikalische) Musik im Allgemeinen. Man müsse sich nicht immer fragen: „Was wollen die Leute hören? Was kommt gut an?“, denkt Flierl vollkommen zu Recht. Wenn die Musik, das Orgelspiel durch Geist und Herz des Organisten bereichert ist, kann man Menschen erreichen und bewegen. Und das sogar mit den ungewöhnlichsten musikalischen Mitteln und Musikstilen, die vielleicht jemand im Vorwege abgelehnt hätte, weil er aus Unwissenheit der Meinung war, das wäre nicht angemessen.
Die Unwissenheit und Unkenntnis um das facettenreiche Schaffen des Kirchenmusikers sind sein größtes Problem. Nahezu an allen Ecken und Enden muss man für seinen Lebensraum und die Berechtigung der Musik kämpfen und für Verständnis, nicht nur in der Gesellschaft, sondern selbst innerhalb der Kirche werben. So erlebte ich einmal, dass ein angehender Pastor während seiner Vikariats-Zeit mich ernsthaft und interessiert fragte, ob man Kirchenmusik denn studieren könne.
Die Probleme und Kuriositäten sind zahlreich und vor allem so strukturell, dass sie sich nicht von heute auf morgen beheben lassen. Man muss sogar fragen, ob sie generell lösbar sind. Es ist gut, dass darüber gesprochen und geschrieben wird, denn bereits die Situation im Studium wirft für angehende Kirchenmusiker grundlegende Fragen auf.
Kommentar von Alexander Fischerauer
Im 8. Punkt seines Artikels startet Matthias Flierl einen Aufruf an die Komponisten, wieder Musik für die Orgel oder für Chor zu schreiben. Meiner Meinung nach wird hier eine Problematik angesprochen, die eine genauere Darstellung verdient.
An der Anzahl neuerer Kompositionen für Orgel/Chor scheitert die Verbindung von Kirche, Komponisten und Gläubigen nicht. Im Gegenteil: Eine unüberschaubare Flut von Kompositionen neuer Musik hat auch sakralen Charakter. Die Ursachen für das Ignorieren dieser Kunstproduktionen von Seiten der Kirche und des Volkes sind andere. Eine Vielzahl von Faktoren erschweren der Neuen Musik den Weg in die Kirchen, von denen einige wichtige hier genannt werden sollen.
Die musikalisch-technischen Anforderungen zeitgenössischer Musik, vor allem in Hinsicht auf die Chormusik sind ein schwer zu bewältigender äußerer Umstand. Frei- oder atonale Musikstücke stellen selbst professionelle Sänger vor erhebliche Herausforderungen. Dies kommt daher, dass ein fehlendes Tonzentrum die Bezüge zwischen Tonverläufen willkürlich erscheinen lässt. Als Folge muss jede Intervall-Fortschreitung einzeln trainiert und auswendig gelernt werden. Komplizierte rhythmische Strukturen erschweren den Lernprozess oft zusätzlich. Laienchöre können solche Kompositionen selbst mit gutem Willen unmöglich einstudieren.
Eine Überhöhung dieses Problems findet dann statt, wenn Komponisten aus Unwissenheit technisch unspielbare oder unsingbare Passagen vorschreiben. Dies ist ein nicht selten zu beobachtendes Phänomen, von dem viele Interpreten zeitgenössischer Musik ein Lied singen können (insbesondere Sänger).
Sakrale Musik muss Menschen ansprechen können, da sie andernfalls, wie es im Moment geschieht, vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt wird. Diese Tendenz ist in unserer Zeit so stark, dass die Neue Musik überhaupt (im Gegensatz zur modernen bildenden Kunst oder Malerei) vielen gänzlich unbekannt ist.
Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass ein Komponist sich in Konventionen erschöpfen muss. Er sollte seine Musik eines Ausdruckes befähigen, der von den Hörern angenommen und in irgendeiner Weise auch verstanden werden kann. Musik in der Kirche darf nicht Selbstzweck sein, in welchem der Komponist seine Freiheit und Novität erst zu rechtfertigen versucht.
Wenn dies doch geschieht, ist die Folge der Zustand, der im Moment überall spürbar ist: Kirche als auch Gläubige wenden sich von dieser Art von Kunst ab und denjenigen Künsten verschiedener Epochen zu, deren Schaffende etwas Anderes als den reinen Selbstzweck des Künstlers auszusprechen wussten: „Soli Dei Gloria!“ (Allein zur Ehre Gottes!)
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