Die Wirkung einer Oper ergibt sich aus dem Zusammenspiel von sprachlichen, musikalischen und szenischen Elementen. Ein Verständnis der Handlung ist nur möglich, wenn das Publikum den gesungenen Text versteht. Bis in die Mitte der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts war es deshalb üblich, Opern in der jeweiligen Landessprache aufzuführen.

Verdi-Opern in Deutschland auf Deutsch, Wagner in Italien auf Italienisch. Es gab aber immer auch Institutionen, die Opern ausschließlich in der Originalsprache aufführten. Zum Beispiel die Metropolitan Opera in New York oder die Salzburger Festspiele.

An der Staatsoper Wien begann Herbert von Karajan im Jahre 1956, Opern nur noch in der jeweiligen Originalsprache aufzuführen. Seine Begründung: Bei der Übersetzung gehe die Einheit von Sprache und Musik verloren. Diese Einheit war für Karajan wichtiger als die Textverständlichkeit. Vermutlich ging er dabei von der Annahme aus, dass das Wiener Opernpublikum mit den Handlungen auch der fremdsprachigen Opern vertraut war und der Handlung auch ohne wörtlich verstandenen Text folgen konnte.

Das Problem der Textverständlichkeit gab und gibt es nicht nur bei der Oper, sondern auch beim Film.Um wenigstens die Handlung verständlich zu machen, hatten Stummfilme immer so genannte Untertitel. Beim Tonfilm wurde die Untertitelung zuerst beibehalten und ausgebaut, sehr bald aber durch Synchronfassungen der Filme in allen gängigen Sprachen ersetzt. Heute ist es fast überall eine Selbstverständlichkeit, Filme synchronisiert in der jeweiligen Landessprache aufzuführen.

Das gilt auch fürs Fernsehen. Es gibt aber auch die Meinung, dass bei einem Film die Einheit von Sprache, Handlung und Inszenierung erhalten bleiben muss. In der Schweiz zum Beispiel verlangt das Kinopublikum weiterhin Filme in der Originalton-Version mit deutschen Untertiteln.

Übertitelung als Lösung für das Textverständlichkeits-Problem

Gegen Karajans Forderung nach Einhaltung der „Einheit von Sprache und Musik“ in der Oper kann man keine Einwände geltend machen, obwohl sie sich mit der Forderung nach Textverständlichkeit nicht verträgt. Eine Lösung bietet die alte Filmlösung in Form der Übertitelung von fremdsprachigen Opern. Die Bezeichnung „Übertitel“ wurde gewählt, weil der jeweilige Text anfänglich über dem Bühnenportal als Textlaufband zu sehen war.

Das ist in manchen Opernhäusern immer noch so. Heute gibt es aber die optimalere Möglichkeit von in den Rücklehnen der Sitze eingebauten Monitoren. Diese Lösung bietet zusätzlich die Möglichkeit, verschiedene Sprachen zu wählen, oder die Übertitel auszuschalten.

Natürlich gab und gibt es Diskussionen, ob Übertitelungen der gesungenen Übersetzung von fremdsprachigen Opern vorzuziehen sei. Untersuchungen, Diplomarbeiten und Dissertationen kamen aber immer zum Ergebnis, dass Übertitelungen das „Gesamtkunstwerk Oper“ optimaler vermitteln als Aufführungen mit übersetztem Gesangstext. Dies deckt sich auch mit der Meinung der Mehrheit des Opernpublikums.

Nun ist die Sprachverständlichkeit bei Opernaufführungen oft nicht nur ein Fremdsprachenproblem, sondern auch eins der jeweiligen Inszenierung. Für die heutigen Opernregisseure scheint die Sprachverständlichkeit kein Thema zu sein, das bei der Inszenierung berücksichtigt werden müsste. Tatsächlich ist sie bei manchen Inszenierungen auch nicht gegeben. Opernhäuser gehen deshalb vermehrt dazu über, auch die gesungene Original-Landessprache zu übertiteln. Das ist im Opernhaus Zürich seit längerem der Fall. Neuproduktionen von deutschsprachigen Opern (zum Beispiel von Wagner und Richard Strauss) werden nicht nur englisch, sondern zusätzlich auch deutsch übertitelt.

Die Mehrheit der Opernbesucher haben Übertitelungen voll akzeptiert. Es gab und gibt aber auch Einwände. Als die English National Opera (ENO) in London im Jahre 2005 begann, sämtliche Opern, auch die englischsprachigen, mit Übertitelungen zu versehen, stieß das auf Kritik.

Der Regisseur David Pountney bezeichnete das Textlaufband als „Kondom aus Zelluloid, das zwischen die Zuhörerschaft und das unmittelbare Verständnis“ geschoben werde. Und für den Regisseur Graham Vick war das Vorhaben „unglaublich schockierend“.

Der Kern des Problems:

Übertitel sind nicht hörbar sondern sichtbar. Sichtbare Texte haben in unserer Kultur aber einen höheren Stellenwert als gesprochene oder gesungene. Dazu kommt, dass die jeweiligen Texte auf maximal zwei Zeilen mit nicht mehr als 30 Zeichen reduziert werden müssen.

Dies bei gleichzeitiger inhaltlicher Geschlossenheit jedes einzelnen Übertitels. Und es darf keine Widersprüche zwischen dem Bühnengeschehen, dem Gesang und dem Text der Übertitel geben. Schwierig zu realisieren ist unter Umständen aber auch die richtige zeitliche Zuordnung der Übertitel, die Koordination mit der Handlung und die Zuordnungen der Übertitel zu den Rollen der Sänger bei Duetten, Terzetten oder gar Sextetten.

Aus diesen Gründen sind Übertitel nicht immer hilfreich, sie können auch verwirren oder stören. Wenn man zum Beispiel an die Zeffirelli-Inszenierung des zweiten Aktes der Tosca mit Maria Callas und Tito Gobbi als Scarpia denkt (Covent Garden 9. Februar 1965, zu sehen auf www.youtube.com), würde in den entscheidenden Momenten der Handlung eine Übertitelung mit Sicherheit vom Bühnengeschehen ablenken.

Eine bisher nicht genutzte Möglichkeit: Einbezug der Übertitelung in die Inszenierung

Übertitelungen könnten in die Inszenierung einbezogen werden. Ein Beispiel dafür ist das Projekt einer Tannhäuser-Inszenierung von Peter Sellars (Chicago 1988). Sellars wollte die Übertitel in verschiedenen Farben gestalten. Die englische Übersetzung in Weiß, die Gedanken von Tannhäuser in rot, und zusätzlich Gedanken von Philosophen der Romantik in blau. Alternativ wollte er die Übertitel sogar in den Szenenaufbau integrieren.

Den übersetzten Text auf dem Textlaufband über dem Bühnenportal, die philosophischen Zitate als Projektion auf der Rückwand der Bühne und Tannhäusers Gedanken als Projektionen in der Szenerie. Leider wurde dieses Projekt aus Kostengründen nicht realisiert. Seither hat meines Wissens kein Regisseur diese zusätzliche Inszenierungsmöglichkeit genutzt.

Die heutige Situation

Übertitel bei Opernaufführungen sind heute in allen nennenswerten Opernhäusern die Regel. Das Publikum hat sie nicht nur akzeptiert, sondern verlangt geradezu nach ihnen. So musste zum Beispiel die Oper Frankfurt in ihren Geschäftsbedingungen folgendes festhalten:

„Die bei der überwiegenden Anzahl der Opern angebotenen deutschen Übertitel sind nicht Bestandteil der Kartenpreise und insofern nicht einklagbar, falls eine Oper ohne Übertitelung gespielt wird oder die Übertitel von einigen Randplätzen aus nicht gesehen werden können. Aus dem genannten Grund berechtigen nicht vorhandene Übertitel oder schlechte bzw. keine Sicht auf die Übertitelanlage keine Kartenrückgabe oder Reduzierung des Kartenpreises.“

Übertitelung im Festspielhaus Bayreuth?

Die optimale Situation für Opernbesucher bietet das Festspielhaus Bayreuth. Orchester und Dirigent sind unsichtbar, der Zuschauerraum ist dunkel. Sichtbar ist ausschließlich das Bühnengeschehen, so wird die Aufmerksamkeit der Besucher durch nichts abgelenkt und ausschließlich auf die Bühne gerichtet.

Dank der optimalen Akustik ist im Festspielhaus die volle Wortverständlichkeit immer gegeben. Wenn man hier nun eine Übertitelungsanlage mit Übersetzungen in alle Weltsprachen (entsprechend der unterschiedlichen Nationalitäten der Festspielbesucher) installieren würde, würde man den Intentionen von Richard Wagner nicht Rechnung tragen. Sein Text Oper und Drama liefert alle stichhaltigen Argumente gegen jegliche Ablenkung der Opernbesucher vom dramatischen Geschehen und damit auch gegen jegliche Übertitelung.

Von Jürg Jecklin