Wenn unsere heutigen Kirchweihfeste hauptsächlich durch die hierbei abgehaltenen, nach ihnen sich benennenden, sogenannten »Kirmes-Schmäuse« beliebt und anziehend geblieben sind, so glaubte ich das mystisch bedeutsame Liebesmahl meiner Gralsritter dem heutigen Opernpublikum nicht anders vorführen zu dürfen, als wenn ich das Bühnenfestspielhaus dießmal zur Darstellung eines solchen erhabenen Vorganges besonders geweiht mir dachte. Fanden hieran konvertirte Juden, von denen mir christlicherseits versichert wurde, daß sie die unduldsamsten Katholiken abgäben, vorgeblichen Anstoß, so hatte ich mich dagegen allen denen nicht weiter hierüber zu erklären, welche im Sommer dieses Jahres zur Aufführung meines Werkes sich um mich versammelten.
Wer mit richtigem Sinne und Blicke den Hergang alles Dessen, was während jener beiden Monate in den Räumen dieses Bühnenfestspielhauses sich zutrug, dem Charakter der hierin sich geltend machenden produktiven wie rezeptiven Thätigkeit gemäß zu erfassen vermochte, konnte dieß nicht anders als mit der Wirkung einer Weihe bezeichnen, welche, ohne irgend eine Weisung, frei über Alles sich ergoß. Geübte Theaterleiter fragen mich nach der, bis für das geringste Erforderniß jedenfalls auf das Genaueste organisirten, Regierungsgewalt, welche die so erstaunlich sichere Ausführung aller scenischen, musikalischen wie dramatischen Vorgänge auf, über, unter, hinter und vor der Bühne leitete; worauf ich gutgelaunt erwidern konnte, daß dieß die Anarchie leiste, indem ein Jeder thäte, was er wolle, nämlich das Richtige.
Gewiß war es so: ein Jeder verstand das Ganze und den Zweck der erstrebten Wirkung des Ganzen. Keiner glaubte sich zu viel zugemuthet. Niemand zu wenig sich geboten. Jedem war das Gelingen wichtiger als der Beifall, welchen in der gewohnten mißbräuchlichen Weise vom Publikum entgegenzunehmen als störend erachtet wurde, während die andauernde Theilnahme der uns zuziehenden Gäste als Zeugniß für die Richtigkeit unserer Annahme von dem wahren Werthe unserer Leistungen uns erfreuete. Ermüdung kannten wir nicht; von dem Eindrucke eines fast beständig trüben und regnerischen Wetters auf unsere Stimmung erklärte ein Jeder sofort sich befreit, sobald er im Bühnenhause an das Werk ging. Fühlte sich der Urheber aller der Mühen, die er seinen freundlichen Kunstgenossen übertragen hatte, oft von der Vorstellung einer unausbleiblich dünkenden Ermüdung beschwert, so benahm ihm schnell die mit jubelnder Laune gegebene Versicherung der heitersten Rüstigkeit Aller jede drückende Empfindung.
Rangstreitigkeiten konnten unmöglich da aufkommen, wo sechs Sängerinnen sogenannter erster Fächer die unbenannten Führerinnen der Blumenmädchen Klingsor’s übernommen hatten, zu welchen sich wiederum Sängerinnen aller Fächer mit freudigster Willigkeit verwenden ließen. Gewiß, – hätte es in Wahrheit erst eines Beispieles für die Darsteller der ersten Partien bedurft, so wäre ihnen dieses von dem künstlerischen Einmuthe der Leistungen jener Zauberblumen-Mädchen gegeben worden.
Von ihnen wurde mir zunächst auch eine der wichtigsten Anforderungen erfüllt, welche ich zur ersten Grundlage des richtigen Gelingens ihres Vortrages machen mußte: der vom Operngesange unserer Zeit den Sängern der heutigen Theater zu eigen gewordene leidenschaftliche Akzent, durch welchen jede melodische Linie unterschiedslos durchbrochen zu werden pflegt, sollte hier durchaus nicht mehr sich vernehmen lassen.
Sogleich ward ich von unseren Freundinnen verstanden, und alsbald gewann ihr Vortrag der schmeichelnden Weisen das kindlich Naive, welchem, wie es andererseits durch einen unvergleichlichen Wohllaut rührte, ein aufreizendes Element sinnlicher Verführung, wie es von gewissen Seiten als vom Komponisten verwendet vorausgesetzt wurde, gänzlich fern abliegen blieb. Ich glaube nicht, daß ein ähnlicher Zauber des anmuthigst Mädchenhaften durch Gesang und Darstellung, wie er in der betreffenden Scene des »Parsifal« von unseren künstlerischen Freundinnen ausgeübt wurde, je sonst wo schon zur Wirkung kam.
Was hier als Zauber wirkte, nun als Weihe die ganze Aufführung des Bühnenfestspieles durchdringen zu lassen, wurde im Verlaufe der Übungen und Vorstellungen zur angelegentlichsten Sorge Aller, und welchen ungewohnten Stylanforderungen hierbei zu genügen war, wird bald ersichtlich, wenn das stark-Leidenschaftliche, Rauhe, ja Wilde, was in einzelnen Theilen des Drama’s zum Ausdruck kommen sollte, seinem wahren Charakter nach sich nicht verleugnen durfte. Welche schwierige Aufgabe den Darstellern der Hauptpersonen der Handlung dadurch gestellt war, leuchtete uns immer mehr ein. Vor Allem war hier auf größte Deutlichkeit, und zwar zunächst der Sprache, zu halten: eine leidenschaftliche Phrase muß verwirrend und kann abstoßend wirken, wenn ihr logischer Gehalt unerfaßt bleibt; um diesen von uns mühelos aufnehmen zu lassen, muß aber die kleinste Partikel der Wortreihe sofort deutlich verstanden werden können: eine fallen gelassene Vorschlag-, eine verschluckte End-, eine vernachlässigte Verbindungs-Silbe zerstört sogleich diese nöthige Verständlichkeit.
Diese selbe Vernachlässigung trägt sich aber unmittelbar auch auf die Melodie über, in welcher durch das Verschwinden der musikalischen Partikeln nur vereinzelte Akzente übrig bleiben, welche, je leidenschaftlicher die Phrase ist, schließlich als bloße Stimm-Aufstöße vernehmbar werden, von deren sonderbarer, ja lächerlicher Wirkung wir einen deutlichen Eindruck erhalten, wenn sie aus einiger Entfernung zu uns dringen, wo dann von den verbindenden Partikeln gar nichts mehr vernommen wird. Wenn in diesem Sinne schon bei dem Studium der Nibelungen-Stücke vor sechs Jahren dringend empfohlen worden war, den »kleinen« Noten vor den »großen« den Vorzug zu geben, so geschah dieß um jener Deutlichkeit willen, ohne welche Drama wie Musik, Rede wie Melodie, gleich unverständlich bleiben, und diese dagegen dem trivialen Opernaffekte aufgeopfert werden, durch dessen Anwendung auf meine dramatische Melodie eben die Konfusion im Urtheile unserer musikalischen sogenannten »öffentlichen Meinung« hervorgerufen wird, die wir auf keinem anderen Wege aufklären können als durch jene von mir so unerläßlich verlangte Deutlichkeit. Hierzu gehört aber gänzliches Aufgeben des durch die gerügte Vortragsweise geförderten, falschen Affektes.
Das alles Maaß überschreitende Gewaltsame in den Ausbrüchen schmerzlichster Leidenschaft, das ja dem tieftragischen Stoffe wie zu seiner Entlastung naturgemäß zugehörig ist, kann nur dann seine erschütternde Wirkung hervorbringen, wenn das von ihm überschrittene Maaß eben durchweg als Gesetz der gefühlvollen Kundgebung eingehalten ist. Tiefes Maaß dünkte uns nun am sichersten durch Ausübung einer weisen Sparsamkeit in der Verwendung des Athems, wie der plastischen Bewegung, festgehalten zu werden.
Wir mußten bei unseren Übungen der unbeholfensten Vergeudung, zunächst des Athems, deren wir uns meistens im Operngesange schuldig gemacht haben, inne werden, sobald wir dagegen schnell erkannten, was ein einziger wohl vertheilter Athem zu leisten vermochte um einer ganzen Tonreihe, indem er ihren Zusammenhang wahrt, ihren richtigen melodischen, wie logischen Sinn zu geben oder zu belassen. Schon allein durch weise Einhaltung und Vertheilung der Kraft des Athems sahen wir es uns, wie ganz natürlich, erleichtert, den gewöhnlich tiefer gelegten, von mir sogenannten »kleinen« Noten, als wichtigen Verbindungs-Partikeln der Rede wie der Melodie, ihr Recht widerfahren zu lassen, weil wir auf dem von selbst sich heraushebenden höheren Tone einer unnützen Athem-Verschwendung uns enthalten mußten, um des Vortheiles der Einigung der ganzen Phrase vermöge der gleichen Respiration uns bewußt zu bleiben.
So gelang es uns, lange melodische Linien undurchbrochen einzuhalten, obgleich in ihnen die empfindungsvollsten Akzente in mannigfaltigster Färbung wechselten, – wofür ich die längere Erzählung Kundry’s vom Schicksale Herzeleide’s im zweiten Aufzuge, sowie die Beschreibung des Charfreitags-Zaubers durch Gurnemanz im dritten Aufzuge als beredte Beispiele unseren Zuhörern zurückrufe.
In genauem Zusammenhange mit dem durch weise Sparsamkeit bei der Ausnutzung des Athems gewonnenen Vortheile der wirksamen Verständlichkeit der dramatischen Melodie, erkannten wir die Nöthigung zur Veredelung der plastischen Bewegungen durch gewissenhafteste Mäßigung derselben. Jene, bisher im gemeinen Opernstyle von der Melodie fast einzig herausgehobenen Affekt-Schreie, waren immer auch von gewaltsamen Armbewegungen begleitet gewesen, welcher die Darsteller durch Gewöhnung sich mit solch regelmäßiger Wiederkehr bedienten, daß sie jede Bedeutung verloren und dem unbefangenen Zuschauer den Eindruck eines lächerlichen Automaten-Spieles machen mußten.
Gewiß darf einer dramatischen Darstellung, namentlich wenn sie durch die Musik in das Bereich des idealen Pathos erhoben ist, die konventionelle Gebahrung unserer gesellschaftlichen Wohlgezogenheit fremd sein: hier gilt es nicht mehr dem Anstande, sondern der Anmuth einer erhabenen Natürlichkeit. Von dem bloßen Spiele der Gesichtsmienen sich entscheidende Wirkung zu versprechen, sieht der heutige dramatische Darsteller durch die in unserem Theater nöthig gewordene oft große Entfernung vom Zuschauer sich behindert, und die gegen das bleichende Licht der Bühnenbeleuchtung zu Hilfe gerufene Herstellung einer künstlichen Gesichtsmaske erlaubt ihm meistens nur die Wirkung des Charakters derselben, nicht aber einer Bewegung der verborgenen inneren seelischen Kräfte in Berechnung zu ziehen.
Hierfür tritt nun eben im musikalischen Drama der Alles verdeutlichende und unmittelbar redende Ausdruck des harmonischen Tonspieles mit einer ungleich sichereren und überzeugenderen Wirkung ein, als sie dem bloßen Mimiker zu Gebote stehen kann, und die von uns zuvor in Betracht genommene, verständlichst vorgetragene dramatische Melodie wirkt deutlicher und edler als die studirteste Rede des geschicktesten Mienenspielers, sobald sie gerade von den, diesem einzig hilfreichen Kunstmitteln, am wenigsten beeinträchtigt wird.
Dagegen scheint nun der Sänger, mehr als der Mimiker, auf die plastischen Bewegungen des Körpers selbst, namentlich der so gefühlsberedten Arme angewiesen zu sein: in der Anwendung dieser hatten wir uns aber immer an dasselbe Gesetz zu halten, welches die stärkeren Akzente der Melodie mit den Partikeln derselben in Einheit erhielt. Wo wir uns im Opernaffekte gewöhnt hatten, mit beiden, weit ausgebreiteten Armen, wie um Hilfe rufend uns zu gebühren, durften wir finden, daß eine halbe Erhebung eines Armes, ja eine charakteristische Bewegung der Hand, des Kopfes, vollkommen genügte, um der irgendwie gesteigerten Empfindung nach Außen Wichtigkeit zu geben, da diese Empfindung in ihrer mächtigsten Bewegung durch starke Kundgebung erst dann wahrhaft erschütternd wirkt, wenn sie nun, wie aus langer Verhaltung mit Naturgewalt hervorbricht.
Wenn das Gehen und Stehen für Sänger, welche zunächst der Überwindung der oft bedeutenden Schwierigkeiten ihrer rein musikalischen Aufgabe ihre angestrengteste Aufmerksamkeit zuzuwenden haben, gemeinhin einer unüberlegten Ausübung der Routine überlassen bleibt, so erkannten wir dagegen bald, von welchem ergiebigen Erfolge eine weise Anordnung des Schreitens und Stehens für die Erhebung unserer dramatischen Darstellung über das gewöhnliche Opernspiel sei. War das eigentliche Hauptstück der älteren Oper die monologische Arie, und hatte der Sänger, wie er dieß fast nicht anders konnte, sich gewöhnt, diese dem Publikum gewissermaaßen in das Gesicht abzusingen, so war aus dieser scheinbaren Nöthigung zugleich die Annahme erwachsen, daß auch bei Duetten, Terzetten, ja ganz massenhaften sogenannten Ensemblestücken, Jedes seinen Part in der gleichen Stellung in den Zuschauerraum hinein zum Besten zu geben habe.
Da hierbei das Schreiten völlig ausgeschlossen war, gerieth dagegen die Armbewegung zu der fast unausgesetzten Anwendung, deren Fehlerhaftigkeit, ja Lächerlichkeit, wir eben inne geworden. Ist nun hiergegen im wirklichen musikalischen Drama der Dialog, mit allen seinen Erweiterungen, zur einzigen Grundlage alles dramatischen Lebens erhoben, und hat daher der Sänger nie mehr dem Publikum, sondern nur seinem Gegenredner etwas zu sagen, so mußten wir finden, daß die übliche Nebeneinanderstellung eines duettirenden Paares dem leidenschaftlichen Gespräche zu einander alle Wahrheit benahm: denn die Dialogisirenden hatten entweder ihre dem Andern geltenden Reden wieder in das offene Publikum hinaus zu sagen, oder sie waren zu einer Profilstellung genöthigt, welche sie zur Hälfte dem Zuschauer entzog und die Deutlichkeit der Rede, wie der Aktion, beeinträchtigte.
Um in diese peinliche Nebeneinander-Stellung Mannigfaltigkeit zu bringen, gerieth man gewöhnlich auf den Einfall, sie dadurch zu variiren, daß, während eines Orchester-Zwischenspieles, die beiden Sänger einander vorbei über die Bühne gingen, und die Seiten, auf denen sie zuvor aufgestellt waren, unter sich vertauschten. Hiergegen ergab sich uns aus der Lebhaftigkeit des Dialoges selbst der zweckmäßigste Wechsel der Stellungen, da wir gefunden hatten, daß die erregteren Akzente des Schlusses einer Phrase oder Rede zu einer Bewegung des Sängers veranlaßten, welche ihn nur um etwa einen Schritt nach vorn zu führen hatte, um ihn, gleichsam den Anderen erwartungsvoll fixirend, mit halbem Rücken dem Publikum zugewendet eine Stellung nehmen zu lassen, welche ihn dem Gegenredner nun im vollen Gesichte zeigte, sobald dieser zum Beginn seiner Entgegnung etwa um einen Schritt zurücktrat, womit er in die Stellung gelangte, ohne vom Publikum abgewandt zu sein, seine Rede doch nur an den Gegner zu richten, der seitwärts, aber vor ihm stand.
Im gleichen und ähnlichen Sinne vermochten wir eine nie gänzlich stockende scenische Bewegung, durch Vorgänge, wie sie einem Drama einzig die ihm zukommende Bedeutung als wahrhaftige Handlung wahren, in fesselnder Lebendigkeit zu erhalten, wozu das feierlich Ernsteste, wie das anmuthig Heiterste uns wechselnde Veranlassung boten. Diese schönen Erfolge, waren sie an und für sich nur durch die besondere Begabung aller Künstler zu gewinnen, würden jedoch unmöglich durch die hier besprochenen technischen Unordnungen und Übereinkünfte allein zu erreichen gewesen sein, wenn nicht von jeder Seite her das scenisch-musikalische Element mit gleicher Wirksamkeit sich betheiligt hatte.
Im Betreff der Scene im weitesten Sinne war zuvörderst die richtige Herstellung der Kostüme und der Dekorationen unserer Sorgfalt anheim gegeben. Hier mußte viel erfunden werden, was denjenigen nicht nöthig dünkte, welche durch geschickte Zusammenstellung aller bisher in der Oper als wirksam erfundenen Effekte dem Verlangen nach unterhaltendem Prunk zu entsprechen sich gewöhnt haben. Sobald es sich um die Erfindung eines Kostümes der Blumenzaubermädchen Klingsor’s handelte, trafen wir hierfür nur auf Vorlagen aus Ballet oder Maskerade: namentlich die jetzt so beliebten Hofmaskenfeste hatten unsere talentvollsten Künstler zu einer gewissen konventionellen Üppigkeit im Arrangement von Trachten verführt, deren Verwendung zu unserem Zwecke, der nur im Sinne einer idealen Natürlichkeit zu erreichen war, sich durchaus untauglich erwies. Diese Kostüme mußten in Übereinstimmung mit dem Zaubergarten Klingsor’s selbst erfunden werden, und nach vielen Versuchen mußte es uns erst geglückt erscheinen, des richtigen Motives für diese, der realen Erfahrung unauffindbare Blumenmächtigkeit uns zu versichern, welche uns die Erscheinung lebender weiblicher Wesen ermöglichen sollte, die dieser zaubergewaltigen Flora wiederum wie natürlich entwachsen zu sein schienen.
Mit zweien jener Blumenkelche, welche in üppiger Größe den Garten schmückten, hatten wir das Gewand des Zaubermädchens hergestellt, das nun, galt es seinen Schmuck zu vollenden, nur eine der buntbauschigen Blumen, wie sie rings her zerstreut anzutreffen waren, in kindischer Hast sich auf den Kopf zu stülpen hatte, um uns, jeder Opern-Ballet-Konvention vergessend, als das zu genügen, was hier einzig dargestellt werden sollte.
Waren wir durchaus beflissen, dem idealen Gralstempel die höchste feierliche Würde zu geben, und konnten wir das Vorbild hierfür nur den edelsten Denkmälern der christlichen Baukunst entnehmen, so lag es uns wiederum daran, die Pracht dieses Gehäuses eines göttlichsten Heiligthumes keinesweges auf die Tracht der Gralsritter selbst übertragen zu wissen: eine edle klosterritterliche Einfachheit bekleidete die Gestalten mit malerischer Feierlichkeit, doch menschlich anmuthend.
Die Bedeutung des Königs dieser Ritterschaft suchten wir in dem ursprünglichen Sinne des Wortes »König«, als des Hauptes des Geschlechtes, welches hier das zur Hut des Grales auserwählte war: durch nichts hatte er sich von den anderen Rittern zu unterscheiden, als durch die mystische Wichtigkeit der ihm allein vorbehaltenen erhabenen Funktion, sowie durch sein weithin unverstandenes Leiden. Für das Leichenbegängniß des Urkönigs Titurel hatte man uns einen pomphaften Katafalk, mit darüber von hoch herab hängender schwarzer Sammet-Draperie, vorgeschlagen, die Leiche selbst aber in kostbarem Prunkgewande mit Krone und Stab, ungefähr so wie uns öfter schon der König von Thule bei seinem letzten Trunke vorgestellt worden war.
Wir überließen diesen grandiosen Effekt einer zukünftigen Oper, und verblieben bei unsrem durchgehends eingehaltenen Prinzipe einer weihevollen Einfachheit.
Nur in einem Punkte hatten wir für dieses Mal ein bemühendes Zugeständniß zu machen. Durch eine uns noch unerklärlich gebliebene Verrechnung war von dem hochbegabten Manne, dem ich auch die ganze scenische Einrichtung des »Parsifal«, wie bereits vordem der Nibelungenstücke, verdankte, und der nun noch vor der Vollendung seines Werkes durch einen plötzlichen Tod uns entrissen worden, die Zeitdauer der Vorführung der sogenannten Wandeldekorationen im ersten und dritten Aufzuge über die Hälfte geringer angeschlagen, als sie im Interesse der dramatischen Handlung vorgeschrieben war.
In diesem Interesse hatte die Vorüberführung einer wandelnden Scene durchaus nicht als, wenn auch noch so künstlerisch ausgeführter, dekorativ-malerischer Effekt zu wirken, sondern unter der Einwirkung der die Verwandelung begleitenden Musik, sollten wir, wie in träumerischer Entrückung, eben nur unmerklich die »pfadlosen« Wege zur Gralsburg geleitet werden, womit zugleich die sagenhafte Unauffindbarkeit derselben für Unberufene in das Gebiet der dramatischen Vorstellung gezogen war. Es erwies sich, als wir den Übelstand entdeckten, zu spät dafür, den hierzu erforderlichen, ungemein komplizirten Mechanismus dahin abzuändern, daß der Dekorationszug um die Hälfte verkürzt worden wäre; für dieses Mal mußte ich mich dazu verstehen, das Orchester-Zwischenspiel nicht nur voll wiederholen, sondern auch noch im Zeitmaaße desselben dehnende Zögerungen eintreten zu lassen: die peinliche Wirkung hiervon empfanden wir zwar Alle, dennoch war das uns vorgeführte dekorative Malerwerk selbst so vorzüglich gelungen, daß der von ihm gefesselte Zuschauer bei der Beurtheilung des Vorganges selbst ein Auge zudrücken zu müssen glaubte.
Wenn wir aber sogleich Alle erkannten, daß für den dritten Akt der Gefahr einer üblen Wirkung desselben Vorganges, wenngleich er in ganz anderer Weise und dekorativ fast noch anmuthender als für den ersten Aufzug von den Künstlern ausgeführt war, da hier ebenfalls keine Reduktion eintreten konnte, durch völlige Auslassung vorzubeugen sei, so gewannen wir hierbei eine schöne Veranlassung die Wirkung der Weihe zu bewundern, welche alle Theilnehmer an unserm Kunstwerke durchdrungen hatte: die hochbegabten liebenswürdigen Künstler selbst, welche diese Dekorationen, die den größten Schmuck jeder anderen theatralischen Aufführung abgegeben haben würden, ausgeführt hatten, stimmten, ohne irgend welche Kränkung zu empfinden, den Anordnungen bei, nach welchen dießmal diese zweite sogenannte Wandeldekoration gänzlich ungebraucht gelassen und dafür das scenische Bild eine Zeit lang durch den Bühnenvorhang verdeckt wurde, und übernahmen es dagegen gern und willig für die Aufführungen des nächsten Jahres die erste Wandeldekoration auf die Hälfte zu reduziren, die zweite aber der Art umzuarbeiten, daß wir, ohne durch einen anhaltenden Wechsel der Scenerie ermüdet und zerstreut zu werden, dennoch der Unterbrechung der Scene durch Schließung des Bühnenvorhanges nicht bedürfen sollten.
Auf dem hier zuletzt berührten Gebiete der »scenischen Dramaturgie«, wie ich es benennen möchte, für alle meine Angaben und Wünsche auf das Innigste verstanden zu werden, war das große Glück, welches mir durch die Zugesellung des vortrefflichen Sohnes des so schmerzlich schnell mir entrissenen Freundes, dem ich fast ausschließlich die Herstellung unseres Bühnenfestspiel-Raumes und seiner scenischen Einrichtung verdanke, zu Theil ward.
In der Wirksamkeit dieses jungen Mannes sprach sich die ungemeine Erfahrung seines Vaters mit einem so deutlichen Bewußtsein von dem idealen Zwecke aller durch diese Erfahrung gewonnenen technischen Kenntnisse und praktischen Geschicklichkeiten aus, daß ich nun wünschen möchte, auf dem Gebiete der eigentlichen musikalischen Dramaturgie selbst dem Gleichen zu begegnen, dem ich dereinst mein mühevoll bisher allein verwaltetes Amt übertragen könnte.
Auf diesem Gebiete ist leider alles noch so neu und durch weit ausgebreitete üble Routine als für meinen Zweck brauchbar zu solcher Unkenntlichkeit verdeckt, daß Erfahrungen, wie wir sie dießmal gemeinschaftlich durch das Studium des »Parsifal« machten, nur der Wirkung des Aufathmens aus Wust und eines Aufleuchtens aus Dunkelheit gleichen konnten. Hier war es jetzt eben noch nicht die Erfahrung, welche uns zu einem schnellen Verständnisse verhelfen konnte, sondern die Begeisterung – die Weihe! – trat schöpferisch, für den Gewinn eines sorglich gepflegten Bewußtseins vom Richtigen ein.
Dieß zeigte sich namentlich im Fortgange der wiederholten Aufführungen, deren Vorzüglichkeit nicht, wie dieß im Verlaufe der gewöhnlichen Theateraufführungen der Fall ist, durch Erkaltung der ersten Wärme sich abschwächte, sondern deutlich erkennbar zunahm. Wie in den scenisch-musikalischen Vorgängen, durfte dieß namentlich auch in der so entscheidend wichtigen, rein musikalischen Mitwirkung des Orchesters wahrgenommen werden.
Waren dort mir intelligente und ergebene Freunde in aufopferndster Weise durch Dienstleistungen, wie sie sonst nur untergeordneteren Angestellten übergeben sind, zum schönen Gelingen behilflich, so zeigte es sich hier, welcher Veredelung der Anlagen für Zartsinn und Gefühlsschönheit der Vortrag deutscher Orchester-Musiker fähig ist, wenn diese der ungleich wechselnden Verwendung ihrer Fähigkeiten anhaltend sich enthoben fühlen, um bei der Lösung höherer Aufgaben verweilen zu können, an denen sie sonst nur hastig vorüber getrieben werden. Von der glücklichen Akustik seiner Aufstellung im zweckmäßigsten Verhältnisse zur deutlichen Sonorität der Gesammtwirkung mit den Sängern der Scene getragen, erreichte unser Orchester eine Schönheit und Geistigkeit des Vortrages, welche von jedem Anhörer unserer Aufführungen auf das Schmerzlichste vermißt werden, sobald er in den prunkenden Operntheatern unserer Großstädte wieder der Wirkung der rohen Anordnungen für die dort gewöhnte Orchester-Verwendung sich ausgesetzt fühlt.
Somit konnten wir uns, auch durch die Einwirkungen der uns umschließenden akustischen wie optischen Atmosphäre auf unser ganzes Empfindungsvermögen, wie der gewohnten Welt entrückt fühlen, und das Bewußtsein hiervon trat deutlich in der bangen Mahnung an die Rückkehr in eben diese Welt zu Tage. Verdankte ja auch der »Parsifal« selbst nur der Flucht vor derselben seine Entstehung und Ausbildung!
Wer kann ein Leben lang mit offenen Sinnen und freiem Herzen in diese Welt des durch Lug, Trug und Heuchelei organisirten und legalisirten Mordes und Raubes blicken, ohne zu Zeiten mit schaudervollem Ekel sich von ihr abwenden zu müssen? Wohin trifft dann sein Blick? Gar oft wohl in die Tiefe des Todes.
Dem anders Berufenen und hierfür durch das Schicksal Abgesonderten erscheint dann aber wohl das wahrhaftigste Abbild der Welt selbst als Erlösung weissagende Mahnung ihrer innersten Seele, über diesem wahrtraumhaften Abbilde die wirkliche Welt des Truges selbst vergessen zu dürfen, dünkt dann der Lohn für die leidenvolle Wahrhaftigkeit, mit welcher sie eben als jammervoll von ihm erkannt worden war. Durfte er nun bei der Ausbildung jenes Abbildes selbst wieder mit Lüge und Betrug sich helfen können? Ihr alle, meine Freunde, erkanntet, daß dieß unmöglich sei, und die Wahrhaftigkeit des Vorbildes, das er euch zur Nachbildung darbot, war es eben, was auch euch die Weihe der Weltentrückung gab; denn ihr konntet nicht anders als nur in jener höheren Wahrhaftigkeit eure eigene Befriedigung suchen.
Daß ihr diese auch fandet, zeigte mir die wehmuthvolle Weihe unseres Abschiedes bei der Trennung nach jenen edlen Tagen. Uns allen gab sie die Bürgschaft für ein hocherfreuliches Wiedersehen.
Diesem gelte nun mein Gruß! –
Geschrieben von Richard Wagner
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