Dass bei Fernsehproduktionen dem Ton nicht der gleiche Stellenwert zugebilligt wird wie dem Bild, ist ein offenes Geheimnis. Zumindest im deutschsprachigen Europa. Das kann jedermann jederzeit überprüfen, wenn er den Fernseher einschaltet und sich durch die jeweils laufenden Programme durchzappt. In der Regel ist mit dem Bild alles ok, mit dem Ton aber oft nicht.

Es ist offensichtlich, dass beim Fernsehen die Bildregie bestimmend ist, und der Ton sich unterzuordnen hat. Das gilt für die Tatort-Serie, für andere Eigenproduktionen, leider aber auch für die TV-Übertragungen von Opern- und Konzertaufführungen.

Viele Musikfreunde werden nun sagen, dass Musik nicht zwingend im Fernsehen übertragen werden muss. Es gibt ja den Rundfunk, bei dem die Tonleute kompromisslos und optimal arbeiten können.

Dass Musik auch ohne zugehörige Bilder vermittelt werden kann, zeigt die Entwicklung der Audiotechnik. Alle Musik-Tonträger, die Edisonwalze von 1872, die Schellackplatte, die LP und schließlich die CD waren und sind alles bildlose Audiomedien.

Die Intensität der Wiedergabe einer Musikaufnahme lässt sich aber deutlich steigern, wenn nicht nur der Ton, sondern zusätzlich auch visuelle Informationen übermittelt werden. Ein Dirigent wird ja bekanntlich nicht nur auf Grund seiner musikalischen Interpretationen zum Star, sondern auch wegen seiner Körpersprache und seinem charismatischen Auftreten vor dem Konzertpublikum.

Aber auch Solisten und Orchestermusiker liefern musikbezogene visuelle Informationen. Man sieht zum Beispiel, dass ein Holzbläser sein Solo spielt und konzentriert sich dann als Konzertbesucher akustisch darauf. Eine musikalische Steigerung, bei der das ganze Orchester beteiligt ist, wird nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar und damit intensiver.

Für einen Konzertbesucher ergänzen sich immer auditiv und visuell wahrgenommene Informationen. Das akustische Geschehen ist für ihn immer als Ganzes hörbar, visuell nimmt er aber nur einen kleinen Ausschnitt war und zwar einen individuellen, immer mehr oder weniger bewusst gewählten Ausschnitt.

Zum Beispiel den Dirigenten, die Solisten, den Pauker oder vielleicht auch mal eine attraktive zweite Geigerin am letzten Pult. Bei der Fernsehübertragung eines Konzertes ist das anders. Eine Freiheit des Hinsehens gibt es nicht. Der Fernsehkonsument sieht nur das, was die Bildregie ihm zeigen will.

Und das deckt sich oft nicht einmal mit dem was man hört, denn die Bildregie arbeitet nicht immer ausschließlich musik- und tonbezogen. Bildregisseure legen ihre Konzepte zwar anhand der Partitur fest, sie denken und arbeiten aber trotzdem bildbezogen.

Das kann problematisch werden, denn beim Bild sind Großaufnahmen eines Ausschnitts, zum Beispiel der Kopf des Basstubaspielers, ohne weiteres möglich, eine zugehörige klangliche Großaufnahme der Basstuba ist musikalisch aber nicht vertretbar.

Die Tonregie denkt und arbeitet musikalisch und kann die Tonmischung aus musikalischen Gründen oft nicht dem Bild anpassen. In der Praxis läuft es deshalb darauf hinaus, dass der Bildregisseur sein Konzept durchzieht, und der Tonmeister mit einer bestenfalls leicht bildbezogenen Tonmischung eine normale Musikaufnahme macht, die dann neben dem Bild herläuft.

festspielhaus

Salzburger Festspiele 2011

Die Folge ist dann das, was ich am Beispiel der Übertragung eines Konzertes der Salzburger Festspiele von 2011 illustrieren möchte. Das Werk: Die Alpensinfonie von Richard Strauss. Es spielten die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Christian Thielemann. Der Ton war so, wie es bei Rundfunk-Konzertübertragungen üblich ist. Musikbezogen, wenn auch für meinen Geschmack zu wenig spektakulär für dieses Werk. Und was machte die Bildregie?

Eine Totale des Orchesters während dem Vorspann mit Schwenk aufs Publikum, der Auftritt mit anschließender Großaufnahme des Dirigenten auf dem Podest mit dem ersten Einsatz für das Orchester und den ersten Takten des Werkes. Dagegen ist nichts zu sagen.

Dann, im weiteren Verlauf des Konzertes, immer wieder Bildausschnitte mit den ersten Pulten der Streicher und den Holz- und Blechbläsergruppen. Alles mehr oder weniger zur Musik passend, nicht zwingend notwendig, zumindest aber nicht störend.

Dazwischen aber immer wieder den Zwang, sich genau das anzusehen, was die Bildregie zeigen wollte. Zum Beispiel die Hände der Harfenistin in Großaufnahme, obwohl die Harfen nur entfernt und im Orchestersound eingebettet zu hören waren und auch musikalisch nicht den Stellenwert des Großbildes hatten. Oder die Großaufnahmen des Basstubaspielers, das riesige Mundstück auf die Lippen gepresst, mit aufgeblasenen Backen und dickem Hals. Kein erfreulicher Anblick. Klanglich blieb das Instrument aber voll im Orchestersound eingebettet.

Ähnliche Bildgestaltungen und Bild-Ton-Kombinationen konnte man auch bei den Pauken und den Holzbläsern feststellen: Immer wieder musikalisch nicht zwingende visuelle Hinweise ohne entsprechend hörbare akustische Deutlichkeiten. Also primär störend.

Und dann die Windmaschine während des Gewitters. Sie war groß und lange im Bild, natürlich mit dem bedienenden Musiker, dem man die Anstrengung beim Kurbeln deutlich ansah. Von den erzeugten Windgeräuschen hörte man aber praktisch nichts. Also ein reiner Bildgag. Was hat nun hier die Fernsehreportage des Konzerts im Vergleich mit einer bildlosen Rundfunkübertragung Zusätzliches gebracht? Ab und zu konnte man den Dirigenten Christian Thielemann sehen.

Und sonst? Manierismen der Bildregie, die vom musikalischen Geschehen ablenkten, Lächerliches (Basstuba und Windmaschine in Großaufnahme) und nur selten musikrelevante visuelle Informationen. In Bayreuth war es die erklärte Absicht Wagners, nicht nur einzelne Musiker, sondern das ganze Orchester und sogar den Dirigenten durch Versenken im mystischen Abgrund unsichtbar zu machen. Leider macht die heute übliche Bildregie bei den Fernsehübertragungen von Konzerten genau das Gegenteil.

Von Jürg Jecklin