Wenn man die Liste der Namen betrachtet, die mit dem Petersburger Konservatorium verbunden sind, die Lehrer, Professoren, Absolventen, Rektoren, Mäzene und Wohltäter, bekommt man unwillkürlich ein Gefühl der ehrfürchtigen Bewunderung. Eine unglaubliche Konzentration der größten Persönlichkeiten der Weltmusikgeschichte ist mit dieser Institution verbunden. Die älteste Musikhochschule Russlands feiert dieses Jahr ihren 150. Geburtstag. Schon in den ersten Jahren ihres Bestehens entwickelte dieses sich zu einem Sammelpunkt der höheren Musikgesellschaft.
Einige Professoren aus der ersten Zeit: G.I. Wieniawski (Violine und Quartett 1862-1873), L. Auer (Violine 1868-1917), K. Davydov (Cello-Klasse 1862 -1.887), K. Everardi (Klasse Sologesang und Opernklasse 1870-1888), Z. Chiardi (Flöte 1862-1877), A.G. Zabel (Klasse Harfe 1862-1904), G. Nissen-Saloman (Klasse Sologesang 1862-1872 und 1878-1879). Die ersten Absolventen des Konservatoriums wurden bekannte Musiker: P.I. Tschaikowskij (Klasse A.G. Rubinstein, N.I. Saremba, Z. Chiardi, G. Still, G. Larosch), G. Kross (Klasse Rubinstein), L.F. Homilius (Klasse Rubinstein, K. Dawydow, G. Still).
Das Konservatorium war keine übliche Lehranstalt. Von Beginn an kümmerte sich das Zarenhaus um dieselbe. Die Eröffnung wurde unter der Schirmherrschaft der Großherzogin Elena Pawlowna, der Ehefrau von Michail Pawlowitsch (Bruder von Nikolaij I) durchgeführt. In der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs am Ende der 1850er Jahre wurde auf Initiative der Großherzogin und Anton Rubinstein sowie anderer öffentlicher Figuren der Musikszene eine Gesellschaft gegründet (1859), die entscheidend für die Musikkultur des Landes werden sollte. Diese erhielt den Namen „Russische Musikgesellschaft“ und auf der Grundlage ihrer eigenen Musikklassen wurde das erste Konservatorium Russlands gegründet (1862). Trotz der Tatsache, dass das Konservatorium keine staatliche höhere Lehranstalt war, bekamen ihre Absolventen Diplome mit dem Rang eines freischaffenden Künstlers, als auch die Möglichkeit, als „ehrbare Bürger“1 ausgezeichnet zu werden.
Nach der Eröffnung hatte das St. Petersburger Konservatorium keine beständigen Räumlichkeiten für die Lehrveranstaltungen und keinen eigenen Konzertsaal. Mehr als 30 Jahre lang mussten die Klassen durch die ganze Stadt „reisen“. Schließlich fanden sie ihre Heimat in einem ehemaligen Gebäude des Bolschoi-Theaters auf dem Theaterplatz. Im Jahr 1889 übergab Alexander III. auf Antrag der Großherzogin Alexandra Josefnowa dieses Gebäude dem ständigen Gebrauch des Konservatoriums. Die Räume benötigten einen fast vollständigen Umbau. Nach den Plänen des Architekten Vladimir Nikol wurden die Fundamente und die Wände des Bolschoi-Theaters behalten und in das neue Gebäude integriert. Der Bau dauerte fünf Jahre und im November 1896 fand die feierliche Eröffnung des neuen Gebäudes statt, in dem sich das Konservatorium noch heute befindet.
In einem kurzen Artikel ist es äußerst schwierig zu erklären, wie sich die Traditionen der Kompositionsschule und Interpreten-Schule des St. Petersburger Konservatoriums entwickelt haben. Sicherlich ist es das Interessanteste, sich auf die herausragenden Vertreter als auch auf die bekanntesten Ereignisse, die einzelne Etappen der Musikgeschichte des Konservatoriums darstellen, zu konzentrieren. Anton Rubinstein war nicht nur der Hauptinitiator für die Gründung des Konservatoriums, sondern er wurde der erste künstlerische Direktor und der erste Professor für Klavier. Dem Musiker wurde sofort der Rang eines effektiven Staatsrats verliehen, und zeigte durch seine Arbeit, dass er diesen hohen Rang zu Recht bekleidete. Nur mit Wenigen kann Rubinstein verglichen werden, da er so viel für das Konservatorium und die berufliche Ausbildung der Musiker geleistet hat.
Die Größe des arbeitsamen Charakters von Rubinstein wurde während seines Lebens anerkannt und ist bis heute nicht erloschen. Sein Portrait, das ihn hinter dem Flügel darstellt, gemalt von dem hervorragenden Künstler I. Kramskij während des begeisterten Musizierens, ist bis heute ein Symbol für diese arbeitsame Kraft und wirkt als Ansporn auf die Musiker, die im kleinen Saal des Konservatoriums spielen. Viele Jahre nach der Gründung des Konservatoriums unternahm Rubinstein ein großartiges Projekt: ein Zyklus von historischen Konzerten der Klaviermusik (1885, 1886). In diesen Konzerten würdigte er nicht nur die Musik seiner Vorgänger, sondern richtete auch große Aufmerksamkeit auf seine älteren Zeitgenossen Chopin, Schumann und Liszt. Insgesamt wurden 877 Stücke von 57 Komponisten aufgeführt, stilistisch in einer Zeitspanne vom Anfang des 16. Jahrhundert bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Später leiteten mehrere Persönlichkeiten das Konservatorium, unter anderem N.I. Saremba, ein angesehener Wissenschaftler im Bereich der Musiktheorie und -praxis. In diesen Jahren (1862-1871) war er Professor der Kompositionslehre und einer seiner Schüler war P.I. Tchaikowskij. M.P. Asantschewskij (Direktor von 1871-1876) hatte die Ehre der Gründung der wissenschaftlichen Bibliothek des Konservatoriums, auf der Grundlage der Sammlung u.a. von Raritäten ausländischer Veröffentlichungen.
Mehr als zehn Jahre war der hervorragender Musiker K.J. Dawidow (1876-1887) Direktor. Der talentierte Virtuose auf dem Violoncello, ausgezeichnete Dirigent, außergewöhnliche Komponist und große Pädagoge opferte dem Konservatorium viel Kraft und Energie, dessen Violoncello-Professor er seit dem ersten Jahr der Gründung war. Er bildete viele erstklassige Cellisten heran, zu seinen Schülern gehörte beispielsweise A. Werschbilowitsch. Er wird als Begründer der Petersburger Cellisten-Schule angesehen. Außerdem hat er in das Programm des Konservatoriums neue Klassen eingeführt: Orchesterspiel, Quartettspiel und eine Opernklasse.
Schon im ersten Gründungsjahr der neuen Lehranstalt, wurde er nicht nur als Professor der Violoncello-Klasse sondern auch als Professor der Musikgeschichte berufen, was offensichtlich mit seiner Universitätsausbildung verbunden war, die er in Moskau an der Fakultät für Mathematik und Physik bekommen hatte (1858). Eine sehr breitgefächerte Allgemeinbildung qualifizierte ihn hervorragend für diese Stelle. Im ersten Jahr des Bestehens des Konservatoriums wurden 179 Studenten angenommen, danach waren es jedes Jahr mehr als 200 Musiker. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass die Namen der ersten Absolventen des Petersburger Konservatoriums in die Weltkulturgeschichte eingegangen sind, auf gleichberechtigter Stufe mit ihren hervorragenden Professoren.
Der erste Absolvent des Kompositionsstudiums, der das Konservatorium mit der großen silbernen Medaille (die höchste Auszeichnung, die Absolventen des Konservatoriums erhalten können) im Jahr 1865 verließ, war der große russische Komponist P.I. Tschaikowskij. Sein Name wurde als erster auf eine marmornen Ehrentafel eingemeißelt, die sich an der Schwelle zum kleinen Saal befindet. Im Foyer des Opernstudios ist eine Skulptur von W. Beklemischew aufgestellt, die den sitzenden Komponisten mit aufgeschlagener Partitur in den Händen darstellt.
Es ist bekannt, dass Tschaikowskij das Petersburger Konservatorium nur für den Zeitraum seiner Lehre besucht hatte, denn ein intensiver Zeitraum des Schaffens, beginnend mit der ersten Symphonie (Winterträume, 1866) war mit dem Umzug nach Moskau und der Berufung an das Moskauer Konservatorium als einer der ersten Professoren verbunden. Die erste Generation von Musikwissenschaftlern bildete Saremba (1821-1879) heran, der Theorie der Komposition unterrichtete. Er war auch der erste Lehrer Tschaikowskijs und sein Verhältnis zu ihm war in Vielem entscheidend für das Schicksal des berühmten Komponisten.
Die Gründlichkeit der humanistischen Bildung Sarembas (er absolvierte die juristische Fakultät der Petersburger Universität) und dessen musikalische Bildung (er nahm Unterricht als Pianist bei A. Gerke und als Cellist bei I. Gross) ist offensichtlich. Seine fundamentale theoretische Bildung bekam er in Berlin beim Lehrer der Musiktheorie und dem Autor eines der berühmtesten musiktheoretischen Lehrbücher, A. Marx.
Laut der im Museum des Konservatoriums aufbewahrten Dokumente war er ein angesehener und geachteter Mensch, dessen 50-jähriges Geburtsjubiläum im Konservatorium mit einem luxuriösen Fotoalbum mit Autogrammen der Kollegen gefeiert wurde (1871). Später erfolgte seine Wahl zum Ehrenmitglied der Russischen Musikgesellschaft (1874). Im Jahr 1871 wurde auf Initiative des Direktors Asantschewskij N. Rimskij-Korsakow als Professor für die Klassen Instrumentation und praktische Komposition eingesetzt. Dieser hatte keine spezielle professionelle universitäre Ausbildung, der junge Dozent eignete sich daher viel im Selbststudium an, was er zum Unterrichten benötigte und war nicht nur ein guter Pädagoge, sondern in dieser Hinsicht auch ein sehr guter Schüler.
Zweifellos begann mit der Berufung von Rimskij-Korsakow eine neue Epoche professioneller kompositorischer und theoretischer Bildung. Der junge Professor (zu dem Zeitpunkt war er 27 Jahre alt) unterrichtete am Lehrstuhl der Kompositionstheorie und Instrumentation und war Leiter der Orchesterklasse. Er übte außerordentlichen Einfluss auf alle Bereiche des Konservatoriums aus. Unter anderem strebte er eine Neuordnung der Harmonielehrekurse an. Das Ergebnis dieser Bemühungen war sein erstes Unterrichtsprogramm und das erste Lehrbuch der Harmonielehre, das später mehrere Neuauflagen erlebte. Rimskij-Korsakow war auch der Autor vom Unterrichtsprogramm der Kompositionstheorie, über das sich sein Zeitgenosse und französischer Kollege A. Brunot äußerte: „Es ist schwer, sich das Konzept einfacher, verständlicher und natürlicher vorzustellen; Und man würde sich wünschen, dass diese Unterrichtsmethode überall angenommen werden würde.“
Rimskij-Korsakow meinte, dass jeder talentierte Künstler gleichzeitig zwei Personen in sich vereinen müsse: Er müsse sowohl Techniker als auch Künstler sein. Ähnlich dem Umstand, dass man mit der Technik alleine die Stimmungen nicht erschaffen kann, ist es unmöglich, nur mit einem poetischen Feingefühl ganze Werke zu formen. In diesem Zusammenhang bestand der große Lehrer auf einer unerlässlich individualistischen Art der Ausbildung von begabten Schülern.
Er entwickelte ein ausführliches System zur professionellen Bildung von Komponisten, das sich mit den Jahren vervollkommnete und zur Klasse Rimsky-Korsakow wurde. Diese Klasse wurde zu einer der besten und kompetentesten im Konservatorium. Im Laufe von fast 40 Jahren (1871-1908) absolvierten diese Klasse viele Studenten verschiedener Fachrichtungen. Es kann sein, dass deswegen die glänzende Menge seiner Studenten erstaunt, die sofort nach dem Absolvieren seiner Klasse als neue Professoren zum Konservatoriumslehrstuhl zählten, z.B. Ljadow, L. Sakketti (1878-1916), J. Witol (1886-1918), M. Steinberg (1908-1946). Alle diese hervorragenden Musiker unterrichteten am Konservatorium ca. 40 oder mehr Jahre.
Von vielen Studenten Rimskij-Korsakows wurden warme und begeisterte Erinnerungen überliefert. So unterschiedlich sie im eigenem Schaffen waren, trafen sich seine Zöglinge in der Hochachtung vor ihrem Lehrer. Zu den treuesten Studenten gehörte A. Ljadow, ausgezeichneter Meister der feinsten Klavierminiaturen und Orchestermärchen, der mit blühender Leidenschaft „jede Note“ seines Lehrers würdigte. Auf der anderen Seite sehen wir einen Vertreter eines ganz anderen akademischen Lagers: S. Prokofjew, der die Klasse im letzten Lebensjahr des berühmten Meisters besuchte. Zu diesem Zeitpunkt kritisierte er fremde Musik hauptsächlich sehr scharf. Zur Oper „Die Legende der unsichtbaren Stadt Kitesh“ verhielt er sich bei der Premiere jedoch mit großer Begeisterung, laut seiner eigenen Worte klatschte er so heftig, bis die Hände schmerzten, um den Komponisten auf die Bühne zu rufen.
I. Strawinskij, der ein Privatstudent von Rimskij-Korsakow war, identifizierte mit dem großen Musiker nicht nur einen Erzieher oder Lehrer sondern sogar einen Vater (nach dem Tod des eigenen Vaters). Die Söhne von Rimskij-Korsakow – Andrej und Wladimir – waren Jugendfreunde von Strawinskij. Nach dem Tod Rimskij-Korsakows schrieb Strawinskij zum Andenken an den Lehrer ein Beerdigungslied für Blasinstrumente. Über diese Partitur sagte der Autor später, sie sei eine der besten seiner frühen Periode und höchst fortschrittlich durch die Anwendung chromatischer Harmonik. Entscheidenden Einfluss auf alle, die bei Rimskij-Korsakow studierten, oder zumindest seinen Rat einholten, hatte das Schaffens des Komponisten selbst. Das Mädchen aus Pskov, Die Zarenbraut, Schneeflöckchen, Sadko, Mainacht, Der goldenen Hahn, Scheherazade und das Spanische Cappriccio, Romanzen, Musik für Blasorchester – all diese Stücke hatte einen unverzüglichen Widerhall in der feinhörigen Kunstumgebung. Unter den Schülern, abgesehen der bereits genannten, waren A. Ossowskij, A. Glasunow, N. Sokolow, N. Gnessin, A. Arenskij, M. Ippolitow-Iwanow, N. Lisenko, M. Balantschiwadse und andere.
Wenn man über die Geschichte des Petersburger Konservatoriums berichtet, darf man nicht die Persönlichkeit A.K. Glasunow vergessen (1865-1936). Der hervorragende russische Komponist und überzeugte Nachfolger klassischer Traditionen war dem Konservatorium in unendlicher Treue verbunden und sorgte für seinen Aufschwung unter schwierigsten historischen Bedingungen. Es ist schwer, die Bedeutung von Glasunow einzuschätzen, der auf dem Posten des Direktors innerhalb eines Zeitraums von fast drei Jahrzehnten (ab 1905) geblieben ist und der gemeinsam mit dem Konservatorium Wendungen einer neuen kulturhistorischen Epoche erlebte.
Das ereignisreiche 20. Jahrhundert hat viel Neues gebracht: Im Jahr 1918 wurde das Konservatorium eine staatliche Institution; Es wurde in den Zuständigkeitsbereich des Volkskommissariats für Bildungswesen gegeben. Es erscheinen neue Namen. Zu den führenden Professoren gehören der Sänger I. Jerschow, der Pianist L. Nikolajew, der Komponist M .Steinberg, ein wichtiger Bewahrer von Traditionen der Rimskij-Korsakow-Schule (sein direkter Student und Ehemann der ältesten Tochter Nadjeschda). Schüler von Steinberg war D. Schostakowitsch, der zur Symbolfigur der neuen Musik wurde.
Rimskij-Korsakow und seine Schule blieben ein Aushängeschild des Professionalismus der nachfolgenden Generationen von Komponisten und Theoretikern bis zum heutigen Tag. Das Andenken an den großen russischen Komponisten bewahrt man achtungsvoll in der ganzen Welt. So wurde z.B. in Großbritannien sein 90. Todestag in der Royal-Festival-Hall in London gefeiert, diese Tage wurden „Discovering Rimskij-Korsakow“ genannt. Heutzutage gibt es im Petersburger Konservatorium sieben Fakultäten: Komposition, Klavier, Orchester, Gesang-Regie, Dirigieren, Musikwissenschaft und Volksinstrumente. Unter den Professoren und Schüler des Konservatoriums gibt es berühmte Namen in allen Fachrichtungen: Komponisten, Dirigenten, Opernregisseure, Ballettmeister, Orchestermusiker, Pianisten, Sänger und Musikwissenschaftler.
Am Anfang des 21. Jahrhundert hat das Konservatorium einige seiner besten Traditionen wiederbelebt und vervielfältigt. Ein Treuhandrat wurde wieder aufgenommen. Eine Vereinigung von Absolventen des Konservatoriums wurde gegründet. Es finden internationale Symposien und Meisterklassen einerseits in den Wänden des Petersburger Konservatoriums, andererseits in verschiedenen Ländern mit der Teilnahme von Petersburger Professoren, Doktoranten und Studenten statt. Viele Jahre schon werden schöpferische Verbindungen mit großen Universitäten und Musiklehranstalten unterhalten, wie Hamburg, Dresden, Köln, Wrozlaw, Rotterdam, Boston, Birmingham und anderen. Im Jahr 2001 wurde das jährliche Festival „Internationale Woche des Konservatoriums“ gegründet.
Wenn man diese kurze historische Übersicht nochmals überblickt, scheint es nicht erstaunlich, dass im Jahr 1995 auf Anordnung des Präsidenten der russischen Föderation das Petersburger Konservatorium zur Staatssammlung besonderer Wertobjekte des kulturellen Erbes vom Volk der russischen Föderation hinzugefügt wurde.
Von Olessja Jantschenko, übersetzt von Ekaterina Sell
1 Eine offizielle Anerkennung des russischen Staates, verliehen v.a. an Künstler, auch Politiker
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