„Die bedeutendsten Lieder sind bei denen zu finden, die sich nie für eine öffentliche Aufführung eignen werden“,
so äußerte sich ein zeitgenössischer Journalist über Robert Schumanns Kunstlieder, die für den geneigten Klassikhörer unserer Zeit fast alle bedeutend sind und gleichwohl öffentlich aufgeführt werden. Dennoch wäre vor ca. 200 Jahren die heutige Aufführungspraxis im Liedbereich für viele Zeitgenossen Schumanns nicht denkbar gewesen. Robert Schumann ist einer der wichtigsten Vertreter des romantischen Kunstliedes, das spätestens seit Schubert für Hausmusik in ihrer reinsten Form steht. Denn das Kunstlied ist für den privaten, intimen Vortrag gedacht. Das spannende an den Liedern Robert Schumanns ist jedoch, dass sich im Laufe seiner Schaffenszeit ein Konflikt genau in dieser Richtung entwickelte. Zwischen seinen beiden großen Liedschaffensphasen entwickelte sich nämlich die so genannte Fortschrittsbewegung (deren Ideale später in Richard Wagners Art zu komponieren gipfelten), die von einem Komponisten forderte, die intime Sphäre des Wohnzimmers zu verlassen und für das Volk, für den großen Konzertsaal zu schreiben. Man spricht häufig auch von einer Demokratisierung der Musik, wobei es übrigens bei weitem zu plump wäre, zu behaupten, Schumann hätte seine Tonsprache komplett verändert und seine späteren Lieder seien für den Konzertsaal geeignet, während die früheren nur im kleinen Kreise dargeboten werden dürfen. Nachdem Schumann vorwiegend Klaviermusik geschrieben hatte komponierte er 1840, seinem „Liederjahr“ den größten Teil der heute bekannten Lieder. Diese stehen noch deutlich in der Tradition Schuberts, dessen sämtliche Klavierlieder Schumann voller Begeisterung von einem Bruder Franz Schuberts erhalten hatte. Übrigens lange vor 1840, er begann also nicht sofort damit auch Lieder zu komponieren. Im Liederjahr entstanden unter anderem die Zyklen Dichterliebe, Frauenliebe- und Leben, Liederkreis und etliche mehr.
Schumann vollendete die Emanzipation des Klaviers, die ihren Ursprung vor allem in Schuberts Kunstliedern hat. Dies ist sicherlich auf seine gescheiterte Virtuosenkarriere als Pianist und seine zahlreichen vorangegangenen Klavierkompositionen zurückzuführen und gehört zu den typischsten Merkmalen der Schumann Lieder. Auch sticht der Komponist in seiner Textauswahl und -behandlung hervor. Er hatte sich ja schon früh zwischen einer literarischen und einer musikalischen Karriere entschieden, hatte also durchaus eine Begabung und fachliches Verständnis im Literaturbereich. So vertonte Robert Schumann in den allermeisten Fällen zusammenhängende Gedichtgruppen, die so meistens eine Sinneinheit bilden. Strophenlieder, wie sie noch bei Schubert relativ häufig auftauchten (man denke an die Schöne Müllerin) schuf Schumann kaum. Jede Gedichtstrophe wurde einzeln und gesondert behandelt, wodurch der Komponist dem Text auf sehr gründliche Weise dient, ohne ihn jedoch durch Wiederholungen oder anderweitige Veränderungen in seiner Gewichtung zu verändern. Gerade Schubert wird genau das ja heute oft vorgeworfen. Bei der literarischen Begabung Schumanns ist dieser erhöhte Respekt vor dem Dichter natürlich auch nachvollziehbar. Interessanterweise vertonte Schumann sehr viele seiner Zeitgenossen. Mit Vorliebe nahm er Texte von Heinrich Heine, der nur 13 Jahre älter war, zur Hand. Heine war es auch, dessen Worte Schumann als erstes durch seine Musik veredelte. Interessanter Weise hörte Schumann nach 1840 relativ abrupt auf, Lieder zu schreiben und wandte sich verschiedenen anderen Kompositionen zu. Jedoch entstanden ab 1848, dem Revolutionsjahr, bis zu seiner Leidenszeit wieder Werke dieser Gattung. Wie schon angeklungen war dies die Zeit des Umbruchs und des Fortschritts. Schumann steckte hier sicherlich tief in dem oben beschriebenen Konflikt mit sich selbst und der Musikszene. Die Anhänger der Fortschrittsbewegung erwarteten eine stark auf den Text fixierte Art zu komponieren. Musikalisch gesehen ist es interessant, die Lieder der beiden Schaffensphasen gegenüberzustellen. Naheliegend ist sicherlich die Annahme, dass die frühen Lieder, also die von 1840, ganz der Romantik verschrieben sind und die späten ganz dem Fortschritt. So leicht ist es natürlich nicht. An Schumanns Beispiel lassen sich vielleicht einige Aspekte der allgemeinen Veränderung in seiner Schaffenszeit nachweisen und sichtbar machen. Jedoch änderte sich Schumanns Kompositionsstil sicherlich nicht so drastisch, dass man die Lieder aus den beiden Phasen polarisierend von einander abgrenzen kann.
Bei der Klärung der Frage nach den Veränderungen in den Schumannschen Liedkompositionen ist es sicherlich auch hilfreich sich die Frage zu stellen, wie der Komponist überhaupt zur besagten Fortschrittsbewegung stand. Hier ist die Quellenlage leider äußerst knapp. Hinweise auf seine Auffassung, wie eine Liedkomposition auszusehen hat erhalten wir wenn überhaupt, dann aus Kritiken und Besprechungen neuer Kompositionen, die Schumann selber für seine Musikzeitschrift geschrieben hat. Alles was hier jedoch eindeutig zu sagen ist, ist dass er der Fortschrittsbewegung nicht abgeneigt war. Das weitere wäre Spekulation. Rein musikalisch bleibt abschließend festzuhalten, dass sich Schumanns Liedkompositionen im Laufe der Zeit auf jeden Fall verändert haben. Die späteren Lieder fordernden Interpreten auf eine andere, subtilere Art heraus. Wenn zum Beispiel das „Waldgespräch“ (Liederkreis) mit „Meine Rose“ (Lenau-Lieder op.90) verglichen wird, stellt man fest, dass beide Lieder zunächst einmal anspruchsvoll sind. Im früheren Waldgespräch sieht sich der Sänger mit einem extrem hohen Spitzenton konfrontiert, der eine beeindruckende Wirkung erzielt. Meine Rose enthält keinen schwer singbaren Ton. Viel mehr lebt dieses Lied von einer rhythmischen Kompliziertheit, deren Anspruch dem Hörer nicht unbedingt immer bewusst ist. Insgesamt lässt sich die Veränderung in Schumanns Tonsprache als eine Hinwendung zu einer eher rhetorisch-pathetischen Stimmführung beschreiben. So wird der Text verständlicher, was von Richard Wagner in dessen Sprechgesangsstil auf die Spitze getrieben wurde. So hat Robert Schumann sicher durch seine Liedkompositionen die Musikalischen Entwicklungen seiner Zeit mitgezeichnet. Offen bleibt an dieser Stelle jedoch, ob die Veränderungen aus einer Hinwendung zu einer Entwicklung von außerhalb entstanden, oder ob Schumann sich nicht einfach als Komponist in seiner Tonsprache selber weiterentwickelt hat.
Fest steht, dass Schumanns Lieder eine exorbitant wichtige Rolle in der vokalen Kammermusik einnehmen und dass sich sicherlich mehr seiner Lieder für eine öffentliche Aufführung eignen, als die zeitgenössische Musikkritik damals vorausgesagt hat.
Literaturhinweise:
Das kleine Schumann Handbuch; P. Dannenberg; Rohwolt
Fortschritt und Kunstlied, U. Mahlert, Katzbichler
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