Es ist keine leichte Aufgabe das Handeln von Menschen zu beurteilen, die in einem Regime, wie dem der Nationalsozialisten, gelebt und gewirkt haben. Uns, die wir die Umstände in ihrem vollem Ausmaße nicht kennen, steht dies eigentlich auch nicht zu. Trotzdem oder gerade deshalb sollte man sich informieren und zumindest versuchen zu verstehen, wie und warum die Menschen damals so handelten.
Richard Strauss wurde von vielen Biographen aber auch schon von einigen Zeitgenossen mit Vorwürfen überhäuft. Man legte ihm zur Last, dass er sich mit dem Regime arrangiert habe, nicht wie viele seiner Kollegen ins Exil gegangen sei und als Vorzeigekomponist und -musiker Nazideutschlands fungiert habe. Andere Biographen heben die Tatsachen, wie seinen Einsatz für seine jüdische Schwiegertochter Alice und seine Zusammenarbeit mit dem jüdisch stämmigen Schriftsteller Stefan Zweig, die ihn bei Hitler und Goebbels in Ungnade fallen ließ, hervor und versuchen alle seine Aktivitäten in der Zeit des Nationalsozialismus zu entschuldigen.
Im Folgenden soll ein Überblick über Richard Strauss Wirken während der Zeit des NS-Regimes gegeben werden und der Versuch gewagt werden, sein Handeln und Denken im geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen.
Strauss sah seine wichtigste Aufgabe darin, die deutsche Kunst und Kultur zu bewahren, zu schützen und weiterzubringen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten (1933) setzte er zunächst große Hoffnungen in Hitler und Goebbels, von denen er glaubte, dass sie ihn bei diesem Vorhaben unterstützen würden. Hitler hielt er für den „mutmaßlichen Retter der deutschen Kunst“1. Der gebildete und kunstinteressierte Hitler machte auf viele sich in diesen Kreisen Bewegende Eindruck. Vielen deutschen Künstlern gab Hitler anfänglich das Gefühl, sich für ihre Belange zu interessieren (z.B. Winifred Wagner).
Strauss schrieb 1934 während seinem Aufenthalt in Berlin bei der ersten Konferenz der Reichsmusikkammer an seine Frau Pauline: „Ich bin hier jetzt bestens aufgehoben und kann erreichen, was ich erreichen will.“2
Der Vorsitz der Reichsmusikkammer wurde Strauss nicht etwa angeboten, er wollte ihn von sich aus übernehmen, denn er sah große Vorteile darin, selbst Entscheidungen, die die deutsche Kultur betrafen, zu treffen, um seine Interessen durchzusetzen. Trotzdem trat er nie in die Partei ein. Auf keinen Fall kann man ihn als einen unvoreingenommenen Anhänger der Nationalsozialisten bezeichnen. Er setzte seine hauptsächlich kulturellen Interessen mit großem Engagement um und nahm auch in Kauf, bei seinen Kollegen aus der Reichsmusikkammer Ärger zu erregen.
Seine Unangepasstheit wurde wohl auf Grund seiner Bekanntheit und seines Einflusses in der deutschen und internationalen Musikwelt geduldet. Er erhielt viele Sondergenehmigungen für Auslandsreisen und andere Belange und galt als Deutschlands größter lebender Komponist. Auch als Dirigent war er im In- und Ausland hoch angesehen.
Seine Zusammenarbeit mit dem jüdischen Dichter Stefan Zweig zeigt, dass er kein schonungsloser Antisemit war. Für Strauss spielte es keine Rolle, dass sein Librettist jüdischer Herkunft war. Er war froh, einen würdigen Nachfolger für Hugo von Hofmannsthal, der 1929 verstorben war, gefunden zu haben.
Als Stefan Zweig die Zusammenarbeit während der Arbeit an Die schweigsame Frau auflösen wollte, da die Probleme mit dem Regime absehbar waren, wollte Strauss unbedingt daran festhalten. Zweig gab seine Notizen für Friedenstag und Daphne an Joseph Gregor weiter, der nach anfänglichen Schwierigkeiten Strauss neuer Librettist wurde. Die Oper Die schweigsame Frau wurde auf Strauss Drängen und mit Hitlers persönlicher Erlaubnis3 uraufgeführt. Da Strauss veranlasst hatte, dass Stefan Zweig namentlich auf dem Plakat erwähnt wurde, wurde die Oper nach der Uraufführung sofort vom Spielplan gestrichen und verboten.
Ein von den Nationalsozialisten abgefangener Brief Strauss an Zweig brachte den Wendepunkt in Strauss Karriere. Ein Ausschnitt dieses Briefes vom 17.06.1935:
“Lieber Herr Zweig!
Ihr Brief vom 15. bringt mich zur Verzweiflung! Dieser jüdische Eigensinn! Da soll man nicht Antisemit werden! Dieser Rassenstolz, dieses Solidaritätsgefühl – da fühle sogar ich einen Unterschied! Glauben Sie, daß ich jemals aus dem Gedanken, daß ich Germane (vielleicht, qui le sait) bin, bei irgend einer Handlung mich habe leiten lassen? […]
Für mich gibt es nur zwei Kategorien Menschen; solche die Talent haben und solche die keins haben, und für mich existiert das Volk erst in dem Moment, wo es Publikum wird. Ob dasselbe aus Chinesen, Oberbayern, Neuseeländern oder Berlinern besteht, ist mir ganz gleichgültig, wenn die Leute nur den vollen Kassenpreis bezahlt haben! […]
Wer hat Ihnen denn gesagt, dass ich politisch so weit vorgetreten bin? Weil ich für […] Bruno Walter ein Conzert dirigiert habe? Das habe ich dem Orchester zuliebe – weil ich für andern “Nichtarier” Toscanini eingesprungen bin – das habe ich Bayreuth zuliebe getan. Das hat mit Politik nichts zu tun. Wie es die Schmierantenpresse auslegt, geht mich nichts an, und Sie sollten sich auch nicht darum kümmern. Daß ich den Präsidenten der Reichsmusikkammer mime? Um Gutes zu tun und größeres Unglück zu verhüten. Einfach aus künstlerischem Pflichtbewusstsein! […]”4
Als Reaktion auf diesen Brief zwang Goebbels Strauss dazu, von seinem Posten als Reichsmusikdirektor zurücktreten. Strauss bat um die Entlassung aus gesundheitlichen Gründen, was sofort erfolgte5. Ab nun wurden ihm keine Sondergenehmigungen mehr gestattet. Zwar benutzten die Nazis ihn noch immer als Aushängeschild, er wurde aber mittels Drohungen und Einschränkungen ruhig gestellt. („Strauss ist in diesem Reiche auf die Dauer als internationaler Reklamefaktor unentbehrlich.“6)
Besonders schlimm traf es seine Schwiegertochter Alice, ihren Mann Franz Strauss und die beiden Söhne. Auf persönliche Initiation Goebbels wurden sie auf schlimmste Weise öffentlich schikaniert, um Richard Strauss zu zeigen, dass es nun vorbei war mit der Sonderbehandlung. Ihr Jagdprivileg wurde ihnen entzogen, den Kindern wurde die Ausbildung verwehrt und Alice wurde öffentlich gedemütigt und bedroht.
In einem persönlichen Brief an Hitler versuchte Strauss die Situation irgendwie zu retten. Eine Antwort erhielt er nie.
“Mein Führer!
Mein ganzes Leben gehört der deutschen Musik und unermüdlichen Bemühungen um Hebung der deutschen Kultur – als Politiker habe ich mich niemals betätigt oder auch nur geäußert, und so glaube ich bei Ihnen als dem großen Gestalter des deutschen Gesamtlebens Verständnis zu finden, wenn ich in tiefster Erregung über den Vorgang meiner Entlassung als Präsident der Reichsmusikkammer Sie ehrfurchtsvoll bedeute, daß auch die wenigen, mir vom Leben noch zugeteilten Jahre nur den reinsten und idealsten Zielen dienen werden.7 […]
Im Vertrauen auf Ihren hohen Gerechtigkeitssinn bitte ich Sie, mein Führer, ergebenst, mich zu einer persönlichen Aussprache empfangen zu wollen und mir dadurch die Gelegenheit zu geben, zum Abschied von meiner Tätigkeit in der Reichsmusikkammer meine Rechtfertigung Ihnen persönlich vortragen zu dürfen. […]”8
Warum Strauss nicht ausgewandert ist, ist eine berechtigte Frage. Vielleicht hätte er es zu diesem Zeitpunkt getan, wenn es noch möglich gewesen wäre. Vor der Stefan-Zweig-Affäre mögen es viele Gründe gewesen sein, die ihn zum Bleiben bewegt haben. Der wichtigste ist sicher sein unermüdlicher Kampf für die deutsche Kunst. Aus vielen seiner Briefe ist seine Heimatverbundenheit und ein starkes Verantwortungsgefühl für sein Land abzuleiten. Er sah es als seine Pflicht in Deutschland zu tun, was er tun konnte. Es können noch viele andere Gründe eine Rolle gespielt haben, vielleicht die Bedrohung seiner Familie oder die im Ausland geringeren Chancen, seine Musik aufführen lassen zu können.
Trotz allen Vorkommnissen wurde zur Olympiade in Deutschland 1936 Strauss Olympische Hymne gespielt. Die Komposition dieser Hymne wird ihm oft zur Last gelegt. Sie war eine Auftragskomposition des Internationalen Olympischen Komitees, die ihm sicher viel Geld gebracht hat. Auch Richard Strauss musste sein Geld verdienen. Er selbst schreibt über die Komposition der Hymne an Stefan Zweig:
“Ich vertreibe mir in der Adventslangweile die Zeit damit, eine Olympiahymne für die Proleten zu componieren, ich, der ausgesprochene Feind und Verächter des Sports.“9
Nachdem Strauss nicht mehr mit den gewohnten Privilegien rechnen konnte, zog er sich mit seiner Familie in sein Haus in Garmisch zurück. Ab 1944 hatte er für die Nationalsozialisten, die sich anstatt auf die kulturelle Präsentation des Landes auf den Krieg konzentrierten, keinen Nutzen mehr.10 Seine Opern wurden immer seltener gespielt und z.B. durch Werke von Lehar, Orff oder Egk ersetzt. Strauss war nun schon ein alter Mann, der vor einem Scherbenhaufen stand. Alles, für das er sein Leben lang gekämpft hatte, war zu Grunde gegangen.
“Es ist hart, wenn man fast 70 Jahre lang umsonst gearbeitet hat und sein Lebenswerk in Schutt und Asche versinken sieht zusammen mit der ganzen lieben Musik der Deutschen!”11
In seinen Vier letzte Lieder (1949) kann man etwas von dieser endzeitlichen Stimmung wahrnehmen. Nachdem der zweite Weltkrieg verloren war und die Amerikaner in Garmisch einrückten, kam Strauss seine Berühmtheit noch einmal zu gute. Sein Haus wurde von Plünderung verschont, da die amerikanischen Soldaten ihn kannten und Respekt vor dem Komponisten hatten.12 Bei den Entnazifizierungsprozessen wurde Strauss zwar von Schuld freigesprochen, von vielen seiner Kollegen und Zeitgenossen aber hart verurteilt. Thomas Mann zum Beispiel entrüstete sich über Strauss als einen „hitlerischen Komponisten“13.
Richard Strauss war ein Mensch, der für seine Ideale gekämpft hat. Dafür nahm er vieles in Kauf und arrangierte sich so gut er konnte mit den Umständen seiner Zeit. Auch wenn er in seinem Leben nicht alle seine Ziele umsetzen konnte, hat er für die Nachwelt eine wunderbare Musik hinterlassen.
Von Lena Fischerauer
1 Michael H. Kater, Komponisten imNationalsozialismus – Acht Portraits, Berlin 2004, S. 315
2 Franz Grasberger, Der Strom der Töne trug mich fort – Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing 1967, S. 351
3 Kater, S. 318
4 Rüdiger Görner, Richard Strauss – ausgewählte Briefe, Frankfurt 1999, S. 79-80
5 Kater, S. 320
6Walter Abendroth zu Hans Pfitzner, Kater, S.328
7Franzpeter Messmer, Richard Strauss – Biographie eines Klangzauberers, Zürich 1994, S. 448
8Curt Riess, Furtwängler – Musik und Politik, Bern 1953, S. 191-192
9 Görner, S. 119
10Kater, S. 339
11Richard Strauss an Karl Böhm, 17.11.1944, Kater, S. 341
12Kater, S. 342
13 Kater, S. 346
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