Sag mir was du spielst und ich sag‘ dir, wer du bist!

Blechbläser sind trinkfreudige Draufgänger, Streicher ehrgeizige Diven und Holzbläser schüchterne Einzelgänger – Die meisten Orchestermusiker sind davon felsenfest überzeugt! Beweise gibt es schließlich genug. Egal, ob der Trompeter aus dem eigenen Orchester gerne mit seinem Dackel spazieren geht, der Geiger ein geselliger Partylöwe ist und der Oboist ein begnadeter Redner- das sind ja bloß seltene Ausnahmen. Und Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel, nicht wahr?

Dieser Fragestellung haben sich seit den 70er Jahren vermehrt Psychologen angenommen und machten sich dabei zur Aufgabe zu untersuchen, ob man diese hartnäckigen Vorurteile auch wissenschaftlich untermauern könnte. Bei den ersten Studien ging es dabei darum in Erfahrung zu bringen, welche Vorurteile überhaupt in Umlauf sind: Studienübergreifend wurden Streicher als arrogant, ruhig und feminin beschrieben, während sie sich selbst als sensibel, neurotisch und unsicher sahen. Holzbläser sahen sich selbst wiederum als sorgfältig, sensibel und freundlich, während sie von ihren Orchesterkollegen als ruhig, intelligent und introvertiert beschrieben wurden. Im Gegensatz dazu wurden Blechbläser als extravertiert, maskulin, aggressiv und laut beschrieben, was mit ihrer Selbsteinschätzung weitgehend übereinstimmt.

Alles nur Vorurteile? Die erste Erforschung der Existenz dieser Vorurteile initiierte der Psychologe Anthony E. Kemp in den 80er Jahren. Mithilfe von Persönlichkeitstests, die die Musiker ausfüllen sollten, wollte er Rückschlüsse darauf ziehen, inwiefern die gängigen Bilder und Vorurteile mit den tatsächlichen Persönlichkeitseigenschaften übereinstimmten. Seine Untersuchung erbrachte tatsächlich einige interessante Ergebnisse: Streicher seien demnach distanziert und gerne allein. Eigenschaften wie Schüchternheit und Zurückgezogenheit konnten bei Holzbläsern festgestellt werden. Blechbläser hingegen seien genau das Gegenteil: Sie seien lebhaft und ausgelassen, kontaktfreudig und unsentimental.

Diese Ergebnisse weckten das Interesse in der Forschergemeinschaft und zahlreiche Untersuchungen folgten. Einige dieser Studien konnten Kemps Ergebnisse bestätigen, manche nur teilweise und wiederum andere zogen ganz andere Schlüsse. So z.B. die bis dato erste und einzige Untersuchung im deutschsprachigen Raum von Franziska Langendörfer von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie untersuchte dazu Musiker sechs professioneller Orchester in Deutschland. In ihrer Studie fand sie heraus, dass Streicher gewissenhafter seien als Holz- und Blechbläser. Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen konnte sie allerdings nicht bestätigen, da keine weiteren Persönlichkeitsunterschiede festgestellt werden konnten.

Meine Forschung

Aufgrund der teilweise widersprüchlichen Ergebnisse und der geringen Anzahl an aktuellen Untersuchungen habe ich mich der Frage nach den Persönlichkeitsunterschieden zwischen Musikern in meiner Bachelorarbeit im Fach Psychologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg gewidmet. Ich habe mich dabei auf die Instrumentengruppen Blechblas-, Holzblas- und Streichinstrumente konzentriert. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Untersuchung dreier Gruppen: Berufsmusiker, Musikhochschulstudierende und Laienmusiker. Insbesondere die zuletzt genannte Gruppe hat in der Vergangenheit keinerlei Beachtung gefunden, aber auch die Berufsmusiker wurden weitgehend ignoriert.

Des Weiteren hat mich die Besonderheit der Bratschisten interessiert. Trotz der Unmenge an Bratschenwitzen hat die vergangene Forschung diese Gruppe eher gemieden. Auch wollte ich untersuchen, ob steigende Orchestererfahrung die Vorurteile verschwinden oder zumindest verringern lässt. Zu diesem Zwecke wurde eine Online-Studie initiiert, an der Studierende der Paris-Lodron-Universität Salzburg, der Universität Mozarteum, sowie Berufsmusiker des Mozarteumsorchester Salzburg und Musiker des Passauer Studentenorchester und mehrerer Jugend- und Projektorchester teilnahmen. Insgesamt nahmen 190 Personen teil. Gemessen wurden die Persönlichkeitseigenschaften anhand des Fünf-Faktoren-Modells (Big Five). Dieses Modell beruht auf der Annahme, dass fünf grundlegende Hauptdimensionen der Persönlichkeit ermittelt werden können. Diese fünf Faktoren sind: Introversion bzw. Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Neurotizismus (bzw. emotionale Stabilität/emotionale Labilität).

Die Stunde der Wahrheit – Ergebnisse

Im Gegensatz zur letzten Studie (Langendörfer) konnte in meiner Untersuchung nicht bestätigt werden, dass sich Streicher in Berufsorchestern hinsichtlich ihrer Gewissenhaftigkeit von anderen Orchestermusikern unterscheiden. Innerhalb dieser Gruppe konnten auch keine anderen Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Musikern der Instrumentengruppen gefunden werden. Verglichen mit den Musikhochschulstudierenden zeigten sich Berufsmusiker jedoch emotional stabiler, was eine ganz neue Erkenntnis auf diesem Feld ist. Was nun allerdings jeder Erfahrung widerspricht, ist die Tatsache, dass unter den Musikhochschulstudierenden zwischen den Instrumentengruppen auch keine Persönlichkeitsunterschiede ermittelt werden konnten. Die Ergebnisse früherer Studien konnten somit nicht bestätigt werden.

In Laienorchestern hingegen zeigten Blechbläser im Vergleich zu den anderen beiden Instrumentengruppen mehr emotionale Stabilität, wohingegen Bratschisten über alle Orchestergruppen durch höhere emotionale Labilität auffielen. Außerdem wiesen sie größere Verträglichkeit auf.Diese Persönlichkeitseigenschaft lässt sich auch als Mitgefühl, Verständnis, Vertrauen, Kooperationsbereitschaft, Nachgiebigkeit und/oder starkes Harmoniebedürfnis auffassen.

Die Annahme, dass die Vorurteile über die jeweiligen Instrumentengruppen mit steigender Orchestererfahrung weniger vorzufinden sind, ließ sich nicht bestätigen. Die Zustimmung zu der Aussage „Blechbläser sind ordentlich“, deren Ablehnung das gängige Vorurteil repräsentiert, dass Blechbläser weniger gewissenhaft seien, sank mit steigender Orchestererfahrung. Das bedeutet, dass dieses Vorurteil sich mit steigender Orchestererfahrung sogar verstärkt. In Bezug auf die Zustimmung zu allen anderen Aussagen, wie z.B. „Blechbläser sind gesellige Menschen“, „Streicher sind gewissenhaft“ oder „Holzbläser sind meist feinfühlig“ hatte die Orchestererfahrung keinen Einfluss.

Die Moral von der Geschicht´

Wie ist es zu verstehen, dass Berufsmusiker emotional stabiler sind als Musikhochschulstudierende?
grafik1Die höhere emotionale Stabilität der Berufsmusiker könnte damit erklärt werden, dass dieser Faktor als eine Art Filtermechanismus funktioniert: Der Zugang zum Musikerberuf bedarf bestimmter Verhaltensweisen und Eigenschaften zu denen u.a. emotionale Stabilität gehören könnte, um im harten Wettbewerb um eine Orchesteranstellung zu bestehen, der oft aus vielen Probespielen mit zahlreichen Konkurrenten besteht. Wieso sind Streicher unter den Berufsmusikern nicht gewissenhafter, wie in der vorangegangen Studie herausgefunden? Langendörfer gelang es in ihrer Studie sechs professionelle Orchester zu befragen, dagegen war es in der vorliegenden Studie nur ein Orchester, deshalb kann es durchaus sein, dass allein wegen der geringeren Anzahl an Teilnehmern andere Ergebnisse zustande kommen.
Andererseits könnte die Ursache auch darin liegen, dass es sich bei den Berufsmusikern in meiner Studie um eine einheitlichere Gruppe handelt als in der Studie von Langendörfer, da diese lediglich einem Orchester angehören und somit durch ähnliche Persönlichkeitseigenschaften charakterisiert werden könnten, was auf die Eigenart dieses speziellen Orchesters hinweisen könnte.

Was hat es mit den Bratschen auf sich?

grafik2Den Ergebnissen meiner Untersuchung zufolge sind die Teilnehmer, die Bratsche als erstes oder zweites Instrument spielen,
emotional labiler und sozial verträglicher im Vergleich zu anderen Streichern. Eine Folge der emotionalen Labilität könnte entweder ein tatsächlich erfolgter „Abstieg“ von der Geige sein, um vergleichsweise leichtere Stimmen auf der Bratsche zu spielen und sich somit sicherer zu fühlen und negative Emotionen zu vermeiden oder sich als Einflussfaktor auf die erstmalige Instrumentenwahl eben mit diesen Motiven auswirken. Die höhere Verträglichkeit der Bratschisten, die in meiner Studie festgestellt wurde, könnte ein Grund sein, warum sich die Bratschisten für ein Instrument entscheiden, welches in der großen Instrumentengruppe der Streicher gespielt wird. In Verbindung mit der festgestellten emotionalen Labilität führt die Verträglichkeit auch möglicherweise dazu, dass die Bratschisten lieber ein Instrument wählen, was eher innerhalb des Orchesters die anderen Streicher unterstützt, statt selbst im Vordergrund zu stehen.

Was hat es mit der Unordentlichkeit der Blechbläser auf sich?
Ich habe in meiner Untersuchung die Teilnehmer mehrere vorurteilsbehaftete Aussagen zu jeder Instrumentengruppe bewerten lassen. Bei der Analyse dieser Aussagen fiel auf, dass besonders das Bild von extravertierten Blechbläsern und von gewissenhaften Streichern und Holzbläsern verbreitet ist. Auffällig ist, dass selbst die steigende Orchestererfahrung und damit der vermehrte Kontakt mit anderen Musikern nicht zur Abnahme dieser gängigen Stereotypen führt. Die Einschätzung der Blechbläser als „ordentlich“ sinkt sogar mit steigender Orchestererfahrung, d.h. Musiker werden im Laufe ihrer Orchesterzeit mehr und mehr davon überzeugt, dass Blechbläser nicht ordentlich sind.

Wie kann es sein, dass es keine Unterschiede zwischen den Orchestergruppen bei Musikhochschulstudierenden gibt?
Möglicherweise könnte es sich auch bei den Musikhochschulstudierenden um eine einheitlichere Gruppe handeln als in den vergangenen Studien, weil alle Musikhochschulstudierende an ein und derselben Universität studieren. Bei der Interpretation der Ergebnisse gilt es auch zu beachten, dass die letzte Untersuchung an Musikhochschulstudierenden fast zwei Jahrzehnte, im europäischen Raum sogar drei Jahrzehnte, zurückliegt und sich die Bedingungen hinsichtlich eines Studiums an einer Musikhochschule geändert haben, was u.a. in einem stärkeren Wettbewerb und folglich in strengeren Auswahlverfahren resultiert. Insbesondere der aktuell verstärkte internationale Andrang auf die Musikhochschulen erhöht den Wettbewerb. So findet womöglich eine stärkere Selektion bereits vor dem Musikhochschulstudium statt, der Musiker mit vergleichsweise niedrigerer emotionaler Stabilität nicht stand halten. Diese Selektion führt womöglich auch dazu, dass generell eine einheitlichere Gruppe der Musikhochschulstudierenden geschaffen wird. Vermutlich sind somit ähnliche Persönlichkeitseigenschaften für den Musikhochschulzugang notwendig.

Von Elena Dinkevych