Das analoge Zeitalter der Audiotechnik ging mit der Markteinführung der CD im Jahre 1982 zu Ende. Eigentlich müsste und dürfte es die Langspielplatte, auch LP, Vinyl oder einfach Scheibe genannt, heute gar nicht mehr geben. Sie ist aber mittlerweile wieder in.
Es gibt Schallplattenbörsen, LPs mit neuen Musikaufnahmen kommen auf den Markt, und man kann wieder Plattenspieler und das ganze LP-Zubehör kaufen. Die LP hat sogar so etwas wie einen Kult-Status erreicht. Das ist erstaunlich, denn ein Tonträger ist ja eigentlich nur Mittel zum Zweck.
Und da bietet die CD Möglichkeiten, von denen man in der Zeit der analogen Langspielplatte nur träumen konnte. Zum Beispiel eine einfache Handhabung und bis zu 80 Minuten Spieldauer. Weiter gibt es heute dank Digital Audio die iPods und MP3-Player, und schließlich auch noch die Möglichkeit, Musik jederzeit aus dem Internet herunter zu laden.
Wieso also diese LP- und Analog-Nostalgie? Nun, die Stereo-LP der Sechziger- und Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts war als Tonträger das letzte Produkt einer rund hundertjährigen Entwicklung. Sie war bis an ihre Grenzen ihrer technischen Möglichkeiten optimiert. Optimiert im Hinblick auf die Wiedergabe-Klangqualität.
Die nicht zu beseitigenden Unzulänglichkeiten der LP machten gleichzeitig ihren Charakter, und damit ihre Eigenqualität aus. Die LP leistete als Tonträger einen klanglichen Beitrag, den man bei der Aufnahme von Musik berücksichtigen musste, aber auch kreativ einsetzen konnte. Zu den unbestritten klanglich besten Aufnahmen aller Zeiten, ob analog oder digital, gehören die in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts gemachten LP-Aufnahmen, unter anderem die DECCA-Produktionen von Wagners Ring und der Salome von Richard Strauss mit Georg Solti und den Wiener Philharmonikern.
Diese Aufnahmen der Analog-Endzeit sind heute auf CD erhältlich. Interessant ist, dass ein Klangvergleich der Wiedergabe ab CD und LP eindeutig zugunsten der Langspielplatte ausfällt. Klanglich hat die digitale Audiotechnik mit der CD also keine Verbesserung gebracht. Die CD ist aber mechanisch wesentlich unempfindlicher und unverletzbarer als die LP. Die Bedienung eines CD-Players ist einfacher als die eines Plattenspielers.
Zudem bekommt man heute eine vergleichbare Wiedergabequalität für einen Zehntel des Preises, den man in den Sechzigerjahren für Plattenspieler und Tonabnehmer ausgeben musste. Wieso also bezahlen manche Musikfreunde einen deutlich hören Preis für ein veraltetes Analog-Equipment? Der kleine Klangqualitätsunterschied kann da nicht die entscheidende Rolle spielen. Die musikalische Qualität einer Aufnahme wird ja von Finessen der Wiedergabe-Klangqualität überhaupt nicht berührt.
Vielleicht kann man die LP-Nostalgie folgendermaßen erklären: Die LP und der Plattenspieler hatten sinnliche Qualitäten, die der CD und dem CD-Player vollkommen abgehen. Die schwarze Scheibe musste man mit aller Sorgfalt aus ihrer Hülle nehmen, auf den Plattenteller legen und den Tonarm sorgfältig absenken. Und dann hörte man die Musik. Die CD legt man in die Schublade des Players, sie wird vom Gerät verschluckt und dann kommt die Musik unvermittelt aus dem bewegungslosen, unsichtbaren Nichts.
Schallplatten waren oft leicht deformiert. Der Tonarm folgte den Verformungen mit leichten Auf- und Abwärtsbewegungen und man konnte dem Spiel der Newtonfarben des von den Rillen der LP reflektierten Lichtes zusehen. Im Gegensatz dazu hat die CD die sinnliche Ausstrahlung eines Massenartikels, einer billigen Plastikscheibe.
Dazu kommt, dass es sich nicht um einen sorgfältig während einer langen Zeit optimierten Tonträger handelt, sondern um einen vervielfältigbaren, billigen Informationsträger zur Speicherung beliebiger Informationen wie Computerprogrammen, Telefonnummern-Verzeichnissen, Zahlen einer Buchhaltung, oder eben auch Musik.
Bei der Verpackung der gleiche Sinnlichkeits-Unterschied: Bei der LP eine große Kartonhülle, auf der Vorderseite das grafisch gestaltete Cover, auf der Rückseite die Informationen über die Aufnahme. Bei der CD eine billige Plastikbox mit einem Miniatur-Cover und zusätzlich einem kleinstgedruckten Booklet. Die Gestaltung vieler LP-Hüllen hatte eine künstlerische Qualität, und manche könnte man sogar als Bild an die Wand hängen. Von einem CD-Cover kann man ähnliches nicht sagen.
Natürlich ist das alles sekundär. Primär geht es ja um die Musik. Und die bekommt man unverfälscht auch von der CD, dem MP3-Player, dem iPod oder (heruntergeladen vom Internet) von einer Hard Disc. Bei den CDs und LPs ist es aber wie bei den Büchern. Auch da geht es primär um den Inhalt. Jedermann nimmt aber lieber ein Buch in die Hand als einen e-Book Reader oder ein iPad.
Von Jürg Jecklin
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