Geschichtliches
Die fünf Kindertotenlieder nach Gedichten von Friedrich Rückert entstanden über einen verhältnismäßig langen Zeitraum: 1901 komponierte Mahler die ersten Lieder (Nr. 1, 3 und 4); 1904 die letzten (Nr. 2 und 5). Sie gehören bereits zur späten Auseinandersetzung Mahlers mit dieser Gattung (es folgte nur mehr das Lied von der Erde).
Vielerorts wurden biographische Einflüsse auf die Komposition vermutet, z.B. die Verarbeitung des Todes seines 25 Jahre zuvor verstorbenen Bruders Ernst.1 Diese These erscheint allerdings etwas gekünstelt, ist die Todesthematik doch als ein wesentliches Element seines gesamten Werkes zu erkennen.
Seiner Frau Alma waren diese düsteren Gedichte unheimlich: “Ich kann es wohl begreifen, dass man so furchtbare Texte komponiert, wenn man Kinder verloren hat. Schließlich hat auch Friedrich Rückert diese erschütternden Verse nicht phantasiert, sondern nach dem grausamen Verlust seines Lebens niedergeschrieben. Ich kann es aber nicht verstehen, dass man den Tod von Kindern besingen kann, wenn man sie eine halbe Stunde vorher, heiter und gesund, geherzt und geküsst hat. Ich habe damals sofort gesagt: Um Gottes willen, Du malst den Teufel an die Wand!”2
Mahler ließ sich jedoch von der Komposition nicht abbringen. Die Uraufführung am 29.1.1905 in Wien wurde ein großer Erfolg beim Publikum und der Kritik. Wenig später musste er tatsächlich den Tod seiner Tochter Maria erleben. Nach 1907, deren Todesjahr, wollte er die Lieder nicht mehr selbst aufführen; zu sehr hatte ihn dieser Verlust mitgenommen. Nur noch einmal sollte er sie 1910 in New York dirigieren.3 Heute gehören die Lieder zum Standardrepertoire der Sänger und nehmen einen wichtigen Platz in der Gattung des Orchesterliedes ein.
Die Gedichtvorlage
F. Rückert verarbeitete in seinen Kindertotenliedern traumatische Erlebnisse: Zwei seiner sechs Kinder starben an Scharlach. In der Zeit nach diesem Unglück schrieb er über 500 Gedichte, die den Kindesverlust behandeln. Für eine Publikation waren diese nicht gedacht, erst nach seinem Tod wurden die Gedichte gesammelt von seinem Sohn herausgegeben. Mahlers Begegnung mit diesem Werk war wohl sehr ergreifender Natur, wie seine Frau Alma berichtet: “Gustav Mahler wurde davon so ergriffen, dass er sie 1901 wie im Traume sang.”4 Somit nahm sich Mahler einige dieser Gedichte zur Vertonung vor. Aus technischen und musikalischen Gründen änderte er die Textvorlage geringfügig ab. Die Änderungen beschränken sich auf Wortumstellungen sowie die Hinzufügung von Wiederholungen.
Stilistisches
Durch eine äußerst feinfühlige Instrumentation, Harmonisation sowie Melodik schafft Mahler in seinen Kindertotenliedern ein differenziertes Klangbild, das die düstere, schaurige Grundstimmung der Lieder greifbar macht. Trotz großer Orchesterbesetzung wird ein schlicht gehaltener, kammermusikalischer Ton angeschlagen (besonders in den Liedern 1 – 4). Schon das erste Lied eröffnet den Zyklus mit einem einfachen zweistimmigen Kontrapunkt. Neben der Sparsamkeit im Instrumentieren zeichnen sich die Lieder durch eine klar strukturierte Harmonik aus, die in eher mäßigen Tempi wechselt. In der harmonischen Ausarbeitung hielt sich Mahler also ebenfalls zurück. Diese harmonische Einheitlichkeit und Schlichtheit ist untypisch für den Komponisten, der gewagte und harte Klangwechsel z.B. in den Symphonien häufig praktiziert.
In der Melodik werden einzelne Motive besonders deutlich herausgearbeitet. Viele Momente wirken symbolisch und ziehen sich als wiedererkennbare Figuren durch den Zyklus. Ein wichtiges Symbol ist z.B. das des Lichts. Das Glockenspiel im ersten Lied könnte durchaus als musikalisches Pendant aufgefasst werden. Hellere Farben werden in diesem Werk stark ausgespart, um die düstere Stimmung nicht aufzubrechen. Der helle Klang des Glockenspiels erzielt eine ganz besondere Wirkung, so dass sich eine Assoziation mit dem Wort “Licht” des Gedichttextes geradezu aufdrängt. Dieses Beispiel ist nur eines von zahlreichen Ausdrucksmomenten in den Liedern. So kommt z.B. noch ein Tam-Tam und eine Celesta zum Einsatz.
Ein wesentlicher Aspekt zur Stilistik in diesem Werk ist der sparsame aber gezielte Einsatz von Klangveränderungen sowie Effekten, vor allem orchestraler oder harmonischer Natur. Mahler erreicht also durch eine Reduktion der Mittel einen starken Ausdrucksgehalt.
Von Alexander Fischerauer
Quellenangaben:
1 Frei zitiert nach Revers, Korte Gustav Mahler Interpretationen seiner Werke Band 1, Köthen 2011, S.467 ff sowie Reclams Musikführer Gustav Mahler, S. 231 f
2 Alma Mahler, Mein Leben, Frankfurt 1960, S. 89
3 Frei zitiert nach Revers, Korte Gustav Mahler Interpretationen seiner Werke Band 1, Köthen 2011, S.470 f
4 Alma Mahler, Mein Leben, Frankfurt 1960, S. 45
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