Die große Beliebtheit, mit der die da Ponte Opern Le nozze di Figaro, Cosi fan tutte und Don Giovanni heute vom Publikum aufgenommen werden, ist sicherlich ein Grund dafür, dass diese Werke auf den Repertoirelisten von Opernhäusern auf der ganzen Welt weit oben stehen. Gerade diese für die Musikwelt selbstverständliche Popularität erschwert es zu begreifen, warum diesen Werken zu Mozarts Lebzeiten in Wien kein besonderer Erfolg beschieden war.

Die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte des Figaro können Hinweise auf die Umstände, denen dieses Werk ausgesetzt war, geben. Durchaus scheint die politisch-ironisierende Stimmung jener Opern, die sich am deutlichsten im Figaro manifestiert , ein gewisses Erkalten beim Publikum in Wien ausgelöst zu haben.

Inwieweit dies wirklich zutreffe und somit auch ein Grund für das zu Mozarts Lebzeiten ins Nichts verschwindende Interesse des Wiener Publikums an Mozarts Musik sein könnte, soll aus einer Zusammenstellung und Erläuterung von Zeitzeugnissen geschehen. Da es aus der relevanten Zeit 1785/86 allerdings so gut wie keine erhaltenen Briefe Mozarts gibt, ist man auf Äußerungen seiner Zeitgenossen angewiesen, die jedoch vorsichtig bewertet werden müssen.

Die Stoffvorlage zur Hochzeit des Figaro: Beaumarchais – Le folle Journeé

Die Geschichte um die Entstehung des ursprünglichen Stoffes muss unbedingt berücksichtigt werden, um Mozarts und da Pontes Probleme mit dem Stoff in Wien nachvollziehen zu können. Der französische Dichter Beaumarchais hatte mit seinem Le folle journeé ou le mariage de Figaro, sozusagen eine unabhängige Fortsetzung seines Werkes Der Barbier von Sevilla, in beaumarchaisParis die gegensätzlichsten Reaktionen ausgelöst. Zahlreiche Intrigen sollten die Aufführung des Stückes verhindern, während auf der anderen Seite das Volk ein Interesse an diesem Werk nahm, das alle damaligen Maßstäbe sprengte. Der Dichter selbst hatte mit solchen Auswirkungen nicht gerechnet, schließlich handelte es sich bei diesen Werken lediglich um Komödien. Er selbst berichtet über die Umstände:

„Beim Barbier von Sevilla hatte ich das Staatsgefüge nur erschüttert. Mit meinem neuen Werk, das noch unverschämter und noch aufsässiger war, brachte ich den Staat offenbar völlig zum Einsturz. Wenn man dieses Stück erlaubte, so war nichts mehr heilig. Man missbrauchte die Autorität durch die hinterhältigsten Berichte; man intrigierte bei einflussreichen Instanzen; man rief gottesfürchtige Damen auf den Plan; man schuf mir Feinde auf den Betschemeln der Kapellen, und ich wehrte mich gegen die gemeine Intrige, je nach den Menschen und dem Ort, durch meine außerordentliche Geduld, meinen unerschütterlichen Respekt, meinen beharrlichen Gehorsam und durch gute Gründe, wenn man sie anhören wollte.

Dieser Kampf hat vier Jahre gedauert. Wenn man die fünf Jahre hinzurechnet, die das Stück im Schreibtisch lag, was bleibt dann von den aktuellen Anspielungen, die man unbedingt in dem Werk erkennen will? Ach, als ich das Stück verfasste, hatte das, was heute blüht, noch nicht einmal zu keimen begonnen; es war eine andere Welt. (…)

Woher kommt also dieses durchdringende Zetergeschrei? Es erklärt sich daher, dass der Autor nicht nur einen einzigen lasterhaften Charakter, wie etwa den Spieler, den Ehrgeizling, den Geizhals oder den Heuchler darstellte, was ihm nur eine bestimmte Gruppe von Feinden verschafft hätte. Statt dessen hat er eine mit leichter Hand entworfene Komposition dazu benutzt oder vielmehr seinen Plan so eingerichtet, dass die Kritik an einer Reihe von Missbräuchen einfließen konnte, von der die Gesellschaft bedrängt wird. (…)

In dem Werk, das ich verteidige, werden nicht die Stände, sondern der Missbrauch eines jeden Standes angegriffen: Allein diejenigen, die sich eines solchen Missbrauchs schuldig gemacht haben, können das Stück schlecht finden; dadurch erklärt sich also ihre Empörung. Aber wie! Sind die Missbräuche so unantastbar geworden, dass man gegen keinen vorgehen kann, ohne zwanzig ihrer Verteidiger zu finden? (…)“1

Die Bemühungen Ludwigs XVI., die Aufführung mit allen Mitteln zu verhindern, geschah wohl aus Angst vor der zusätzlichen Verbreitung revolutionärer Stimmung, die laut Beaumarchais ja bereits in vollem Maße „blühte“. Eine Augenzeugin berichtet von der Reaktion des des Königs in einer internen Vorlesung:

„Ludwig der XVI. Begleitete die Vorlesung mit lobenden und tadelnden Bemerkungen. Immer häufiger wurden aber seine unwilligen Äußerungen: „Das geht zu weit! Das ist unanständig!“ Etc. Und als es endlich zu dem Monolog im fünften Akt kam, sprang er von seinem Sessel auf mit dem Ausruf: „Das ist abscheulich! Das wird niemals gespielt werden! Die Aufführung des Stückes wäre eine gefährliche Inkonsequenz wenn man nicht zuvor die Bastille niederreißen wollte.“2

Dass die Bastille bald darauf tatsächlich gestürmt werden sollte, ahnte natürlich noch niemand; daher wirkt die Äußerung des Königs in diesem Fall ahnungsvoll und paradox zugleich. Der erwähnte Monolog des Figaro im fünften Akt verurteilt in aller Schärfe bestimmte gesellschaftliche Missstände. Diese „unanständigen“ Äußerungen trieben den König zu der oben zitierten Reaktion. Die Uraufführung, die dann mit Hilfe adeliger Gönner doch noch durchgesetzt werden konnte, stieß auf eine überwältigende Anteilnahme beim Volk:

„Nach dem Scheitern einer Privataufführung im Hause des Grafen d´Artois, die der König am 13. Juni 1783 überraschend verbot, wurde Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit am 27. April 1784 in der Comédie Francaise aufgeführt. Die Kassen waren den ganzen Tag umlagert, es gab Tumulte und Ausschreitungen, und das Gedränge nahm sehr rasch Ausmaße an, die über den bloßen Theateranlass hinaus aufrührerischen Charakter annahmen. Der Erfolg war außerordentlich: Von den adligen und großbürgerlichen Kennern, von den Verfechtern einer Reform an Haupt und Gliedern als Signal einer neuen Epoche umjubelt, wurde das Stück achtundsechzigmal in Folge gespielt. Da sich eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung nicht einstellte, gab auch der Hof seine Zurückhaltung auf: Um den dort nach wie vor geschätzten Autor mit der kränkenden Behandlung zu versöhnen, traten der König und die Königin selbst in einer Aufführung des Stücks am Hof von Versailles auf.“3

In Wien – Schwierigkeiten um das Libretto

Während man also aus den vorhergegangenen Quellen deutlich die vorrevolutionäre Bewegungen in Frankreich spüren kann, die Angst vor Veränderung auf der einen, die stürmische Bewegung des Volkes auf der anderen Seite, sah in Wien alles ganz anders aus.

Über die Brisanz des Stückes und den Ereignissen in Frankreich wusste man bestens Bescheid. Die geplante Aufführung 1785 durch E. Schikaneders Schauspieltruppe im Kärntnertortheater wurde von Joseph II. prompt verboten, der Druck des Werkes in deutscher Übersetzung aber seltsamerweise erlaubt. Mozart besaß eines dieser Exemplare, es wurde in seinem Nachlass gefunden. Da Ponte und Mozart mussten den problematischen Text für die Oper nicht nur, wie gewohnt, zum Libretto umgestalten, sondern die Geschichte insgesamt massiv entschärfen.

Da es leider gar keine Zeugnisse aus Mozarts Hand über die Zusammenarbeit mit da Ponte, seinem bedeutendstem Librettisten gibt, ist man auf da Pontes Memoiren angewiesen. Diese weisen an vielen Stellen einen selbstgefälligen Charakter auf und erwecken den Eindruck, die Wahrheit zu Gunsten des eigenen Nachruhms gehörig zu strapazieren. Aber im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Figaro wirkt sein Bericht durchaus glaubwürdig und aufschlussreich, weshalb er hier in seiner vollen Länge wiedergegeben wird.

Aus Lorenzo da Pontes Memoiren: Die Entstehung des Librettos und der Oper, erste Erfolge

„Schon nach kurzer Zeit baten mich verschiedene Komponisten um Libretti. Es gab aber damals nur zwei in Wien, die Beachtung verdienten: Martini, der Lieblings-Komponist des Kaisers, und Wolfgang Mozart, den ich damals in dem Hause des Barons von Wetzlar kennenlernte. Der Baron war ein großer Verehrer und Freund dieses Tonsetzers. Obwohl Mozart das lorenzo_da_pontehöchste Talent und eine vielleicht größere Begabung als irgendein anderer Komponist der Vergangenheit oder Gegenwart besaß, so war es ihm infolge der Intrigen seiner Gegner doch nicht gelungen, sein göttliches Genie in Wien zur Geltung zu bringen.

Er blieb im Dunkeln gleich einem kostbaren Edelstein, der seinen Glanz im Schoß der Erde verbirgt. Ich kann mich nie ohne einen gewissen Stolz daran erinnern, dass Europa und die ganze Welt größtenteils meiner Ausdauer und unerschütterlichen Beharrlichkeit die wundervollen, erlesenen Opern dieses genialen Komponisten zu verdanken.

Die Ungerechtigkeit, der Neid der Zeitungsschreiber und der Mozart-Biographen verhinderten jedoch, dass dieser Ruhm einem Italiener zugestanden wurde. Aber ganz Wien, alle diejenigen, die Mozart und mich in Österreich, Böhmen und Sachsen kennengelernt haben, seine ganze Familie und vor allem der Baron von Wetzlar, unter dessen Dach sich der erste Funke dieser edlen Flamme entzündete, müssen zugeben, dass alles, was ich hier gesagt habe, die reine Wahrheit ist.

Nachdem also der „Burbero di boun core“ einen so guten Erfolg gehabt hatte, ging ich zu Mozart und erzählte ihm alles, was ich mit Casti, Rosenberg und dem Kaiser erlebt hatte. Ich fragte ihn dann, ob er Lust habe, ein Textbuch von mir zu komponieren.

„Ich würde es mit großem Vergnügen tun“, sagte er, „aber ich bin überzeugt, dass ich die Erlaubnis dazu nicht erhalten werde.“

„Dafür zu sorgen, soll meine Sache sein“, erwiderte ich.

Ich begann nun, nach Stoffen für zwei Opern zu suchen, die für zwei sehr begabte, aber gänzlich verschiedene Komponisten geeignet waren. (…)

Was Mozart anbelangt, so war mir klar, dass sein unermessliches Genie einen vielseitigen, erhabenen Stoff brauchte. Als ich mich eines Tages mit ihm darüber unterhielt, fragte er mich, ob ich nicht vielleicht ohne zu große Mühe die Komödie „Hochzeit des Figaro“ von Beaumarchais zu einem Opernlibretto umarbeiten könne. Dieser Vorschlag gefiel mir sehr, und ich versprach ihm, dies zu tun. Es war dabei aber eine große Schwierigkeit zu überwinden. Wenige Tage zuvor hatte nämlich der Kaiser der Gesellschaft des deutschen Theaters die Aufführung dieser Komödie untersagt, weil sie nach seiner Meinung nicht ganz anständig war.

Wie konnte ich ihm nun gerade diese Komödie vorschlagen? Der Baron von Wetzlar bot mir ein sehr ansehnliches Honorar für das Textbuch. Er wollte die Oper in London oder in Frankreich aufführen lasen, wenn es in Wien nicht gestattet werden sollte. Ich nahm aber sein Anerbieten nicht an, sondern schlug vor, Text und Musik sollten in aller Stille geschrieben und dann bei einer günstigen Gelegenheit den Direktoren oder dem Kaiser selbst angeboten werden. Ich hatte den Mut, die Bearbeitung des Textes selbst zu übernehmen. Martini wurde als einziger in das Geheimnis eingeweiht und war so großzügig, aus Freundschaft für Mozart seine Zustimmung zu geben, dass ich das Textbuch für ihn erst nach der Vollendung der „Figaro“-Bearbeitung schreiben sollte.

Ich begann also mit der Ausarbeitung. Wir arbeiteten Hand in Hand. Sobald ich eine Szene fertig hatte, setzte Mozart sie in Musik, und in sechs Wochen war alles fertig. Mozart hatte diesmal Glück. Das Theater hatte Mangel an neuen Opern. Ich benutzte die Gelegenheit und bot, ohne mit irgend jemand darüber zu sprechen, den „Figaro“ dem Kaiser persönlich an. „Wie“, sagte er, „ Sie wissen doch, dass Mozart zwar ganz ausgezeichnet in der Instrumentalmusik ist, aber bis jetzt nur eine Oper geschrieben hat, die dazu noch keinen besonderen Wert hat.“

„Ich selbst“, erwiderte ich ehrerbietig, „hätte ohne die gnädige Huld Eurer Kaiserlichen Majestät auch nur eine Oper in Wien geschrieben.“

„Das ist wahr, aber diese „Hochzeit des Figaro“ habe ich schon der Gesellschaft des deutschen Theaters verboten.“

„Ich weiß es, aber da ich eine Oper (dramma per musica) und nicht eine Komödie geschrieben habe, musste ich mehrere Szenen ganz weglassen und viele andere stark kürzen. Ich habe dabei alles weggelassen, was gegen den Anstand und die Sitte verstößt und ungehörig sein könnte in einem Theater, in dem die höchste Majestät selbst anwesend ist. Was aber die Musik betrifft, so halte ich sie, soweit ich dies beurteilen kann, für ganz außerordentlich schön.“

„Gut, wenn sich die Sache so verhält, verlasse ich mich hinsichtlich der Musik auf Ihren guten Geschmack und hinsichtlich des Textes auf Ihre Klugheit und Geschicklichkeit. Lassen Sie sogleich die Partitur dem Kopisten übergeben.“ (…)
Mozarts Oper wurde (…) gegeben, und trotz allen „Wir werden ja sehen“ und „Wir werden ja hören“ der anderen Komponisten und ihrer Anhänger, trotz Graf Rosenberg, Casti und tausend Teufeln gefiel sie allgemein und wurde vom Kaiser und von allen wirklichen Kennern für ein außergewöhnlich schönes, ja göttliches Meisterwerk gehalten. (…)“4

Dieser Bericht enthält viele interessante Hinweise und Andeutungen. Inwiefern Mozart auf die Textgestalt des Librettos Einfluss genommen hat, ist schwer zu sagen. Da er aber scheinbar selbst den Text vorgeschlagen hat, scheint es sehr wahrscheinlich, dass er auch an der Dramaturgie des Librettos mitgearbeitet hat. Die Kürzungen und Entschärfungen scheint da Ponte zwar selbständig vorgenommen zu haben, es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Mozart Anteil an dieser Arbeit nahm. Wenn das zutreffen würde, müsste man annehmen, dass Mozart sich über die Wirkung und Problematik des Textes als „dramma per musica“ konkrete Gedanken gemacht habe. Gerade diese Eigenschaft wurde und wird ihm aber häufig abgesprochen.

Aufführungen und Reaktion des Wiener Publikums

Die Intrigen, die da Ponte erwähnt, sind mangels Quellenmaterial nicht genau zu erklären. Dass Mozart hier aber tatkräftig entgegengewirkt wurde, geht auch aus einem Brief des Vaters an seine Tochter vom 28. April 1786 hervor:

„Heute den 28ten gehet deines Bruders Opera, Le nozze die Figaro, das erste mal in Scena. Es wird viel seyn, wenn er reußiert, denn ich weis, daß er erstaunlich starke Cabalen wider sich hat. Salieri mit seinem ganzen Anhang wird wieder figaro_plakatHimmel und Erden in Bewegung zu bringen sich alle Mühe geben. H: und M:dme Duschek sagten mir es schon, daß dein Bruder eben deswegen so sehr viele Cabalen gegen sich habe, weil er wegen seinem besonderen Talent und Geschicklichkeit in so grossem Ansehen stehe.“5

Das Werk wurde dennoch ein Erfolg. Wie groß der Erfolg war, oder ob es überhaupt ein Erfolg war, darüber sind sich die verschiedenen Mozart-Biographen erstaunlich uneinig. Nimmt die Berichte über die Aufführungen aus der Zeit sowie die Äußerungen der Biographen zusammen, scheint es wahrscheinlich, dass das Werk zwar einen Erfolg feierte, allerdings einen der nur temporärer Natur war und deswegen eigentlich nicht zu erwähnen ist. Mozarts Oper war nur eine unter vielen anderen, er nur ein Komponist unter vielen anderen, die mit ihren Opern ebenso viel Erfolg hatten. Mit dem Erfolg des Originals von Beaumarchais in Paris war die „Hochzeit“ keineswegs zu vergleichen.

Nachdem die Oper einige Male wiederholt worden war, drängte eine neue Oper den „Figaro“ von der Bühne. „Una cosa rara“ von Cicente Solers zog die Aufmerksamkeit des Publikums von Mozarts Werk komplett ab. Hier wird nun der wunde Punkt berührt, der bereits in der Einleitung angedeutet wurde: Warum war Mozarts Werk für die Zeitgenossen lediglich ein Werk unter vielen anderen. Warum zog das Wiener Publikum andere, unbedeutendere Komponisten, vor allem gegen Mozarts Lebensende hin, vor?

Der gesellschaftskritische Mozart?

Wolfgang Hildesheimer deutet als Mozart-Biograph die ersten Aufführungen anders als die meisten seiner Kollegen. Er sieht in der Publikumsreaktion auf den Figaro den Anfang einer langsamen, aber stetigen Entwicklung, nämlich die Abwendung des Publikums von Mozart als Komponist und Interpret. Dies führte so weit, dass Mozart in den letzten Jahren Verlegenheitsaufträge annehmen musste, die aus unserer Sicht unter seiner Würde standen, z.B. das Werk für eine mechanische Orgel in einer Spieluhr.

Seine Haltung gegenüber dem Publikum scheint ihn denn auch viel Anerkennung gekostet zu haben. Zum Vergleich: Salieri hatte im Gegensatz zu Mozart eine Anstellung am königlichen Hof, verdiente ungefähr sechsmal so viel im Jahr wie Mozart, war als Komponist und als Pädagoge in sehr hohem Ansehen, während Mozart weder als Komponist noch als Interpret anerkannt wurde. Wohlgemerkt allerdings nur in Wien. Denn vor allem in Prag und auch in anderen europäischen Städten wurde seine Musik hoch gefeiert.

Es stellt sich insgesamt die Frage, wie sehr sich Mozart seiner Rolle als gesellschaftskritischer Komponist bewusst war. Denn der Figaro ist nicht die einzige Oper, in der die Macht des Adels in Frage gestellt wird. Die Rollen Leporello in Don Giovanni, Despina In Cosi fan tutte sind zwar milderer Ausdruck dieser Kritik, aber trotz aller Komik deutlich in der Ausführung zu erkennen. Die vorrevolutionäre Stimmung dieser Zeit scheint Mozart nicht in dem Maße berührt zu haben, dass er über diese bewusst reflektiert hätte.

Denn aus seinen Briefen kann man keine einzigen auch nur entfernt revolutionären Gedanken entnehmen. Erklärungsversuche: Mozart scheint jede Art von abstrakter Reflexion fremd gewesen zu sein. Sein Lebensstil wie auch sein Künstlertum war ganz unmittelbarer Natur. Leopold Mozart, der Vater, forderte von seinem Sohn einen „vernunftgeleiteten“ Lebensstil. Ohne diese Erwartung jemals erfüllen zu können, gibt sich Mozart in vielen Briefen sichtlich große Mühe, dem Vater sein Wunschbild zu bestätigen. Dieser Eindruck entsteht v.a. Im Vergleich mit anderen Briefen, die nicht an den Vater gerichtet sind.

Wenn man Mozart in seiner gedanklichen Reflexion so einschätzt, folgt für den Figaro: Man kann wohl annehmen, dass Mozart wusste, dass der Stoff bei Teilen des Publikums unangenehme Reaktionen auslösen würde. Trotzdem hat er von einer aufkeimenden Revolution gar nichts geahnt oder gewusst, hat auch wahrscheinlich gar nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen selbst etwas an der gesellschaftlichen Situation ändern zu können. Zu den politischen Ereignissen im Jahr 1789 hat er keinen einzigen brieflichen Kommentar gegeben.

Wahrscheinlich wollte er sich schon zur Zeit des Figaro (1786) nicht mehr ausschließlich nach dem Geschmack und den Wünschen des Publikums richten, eine Tendenz, die in den darauf folgenden Jahren noch mehr zunahm. Diese Einstellung Mozarts ist enorm wichtig, sie ist für das Verständis seiner Künstlerpersönlichkeit notwendig. Der Publikumsliebling war er um 1786 schon lange nicht mehr. Der Mythos vom Wunderkind hat sich in der Realität sehr früh verflüchtigt. Sein Leben als Komponist war immer ein Kampf und auch von vielen Erfolglosigkeiten geprägt (z.B. seine Konzertreise nach Frankreich).

Die Werke aus den letzten Jahren Mozarts sind also anders einzuschätzen, er konnte sich als Künstler immer freier, losgelöster von äußeren Umständen fühlen, womit aber (und nicht nur in seinem Fall) eine Abwendung der Gönner und des Publikums die Folge waren. Die Auswirkungen einer solchen Lebensweise waren für seine Zeit einzigartig und in gewissem Sinne kann man Mozart in dieser Hinsicht als einen der ersten freien Komponisten betrachten.

Zurück zum Figaro: In dem Moment, in dem Mozart sich ans Vertonen des Werkes machte, vertiefte er sich so sehr in den Stoff, dass er in seiner unvergleichlichen Art musikalische Ironie, Komik, Galanterie und eben alles, was das Stück anbot und erforderte, über das Libretto ausschüttete. Ihm war es möglich, die Personen durch die Musik sehr vielseitig und farbig zu charakterisieren, viel mehr, als das Libretto allein es vermuten lassen würde und außerdem viel mehr, als das Publikum es überhaupt forderte oder gewöhnt war.

Für uns, die wir die Möglichkeit haben, die Werke vieler Epochen zu vergleichen, scheint es, dass das Werk seinen Platz als eine der beliebtesten und bekanntesten Opern zu Recht behauptet. Denn seine Musik schuf Mozart schon damals nicht für eine Modeströmung, seine Musik ist original und originell zugleich und begeistert heute daher noch immer viele Menschen.

Von Alexander Fischerauer


1 Die Hochzeit des Figaro, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek,1982, S. 227 ff.

2 Ebd. S. 211

3 Ebd. S. 222

4 Ebd. S. 255 ff.

5 Ebd. S. 240