strausssohnDen Ausbruch der Revolution in Wien am 13. März 1848 erlebte Johann Strauß Sohn gar nicht mit. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einer längeren Konzertreise mit seinem Orchester, die von Budapest über Belgrad bis Bukarest führte. Seine Rückkehr erfolgte erst im Mai 1848. Was war in dieser Zeit in Wien geschehen?

Am 13. März besetzten Bürger und Studenten den Hof des Niederösterreichischen Landhauses in Wien. Vorausgegangen war eine langjährige Entwicklung, in der das System des „alten Zopfes“, vertreten v.a. durch Fürst Metternich, immer stärker auf Ablehnung stieß. Die Hauptforderungen des 13. März waren eine neue Konstitution, Pressefreiheit und der Anschluss des habsburgischen Reiches an das deutsche Reich. Eine liberalere Regierungspolitik mit Einschränkung der Macht des Monarchen sollte durch die Vorlage von Petitionen auf den Weg gebracht werden.

Als von Regierungsseite die Weitergabe der Bittschriften verweigert wurde, kam es zu tumulthaften Ausschreitungen. Das Militär griff ein und schoss auf die größtenteils unbewaffnete Menge, die mehrere Opfer, darunter einige Studenten, beklagen musste. Dies führte erst zum Ausbruch der eigentlichen Revolution. Innerhalb kürzester Zeit wurden Nationalgarden und Studentenkorps gebildet, die die Stadt unter ihre Kontrolle brachten, auf der anderen Seite aber auch die Stadt und insbesondere die obere Gesellschaftsschicht vor schlimmeren Ausschreitungen schützte, die v.a. von Seiten der Arbeiterschaft drohten.

Der Student Carl Wilhelm Ritter berichtet in Briefen an seine Familie über die Ereignisse:

„Ab demselben Tage (12. März) wurde Seiner Majestät eine Adresse von den Bürgern Wiens mit 14000 Unterschriften vorgelegt, in welcher diese um Verfassung, Preßfreiheit usw. baten. Den 13. morgens war die Aufregung in Wien außerordentlich groß. Im Hofe des Landhauses, wo die Stände versammelt waren, befand sich eine ungeheure Menge Volk. (…) Unter den Bravorufen der Menge, womit jeder Satz des Redners begrüßt wurde, erzitterte das Gebäude.

Von der Regierung kam noch immer kein genügender Bescheid. Das erhitzte Volk, des langen Wartens müde, zertrümmerte die Fenster und Gerätschaften des Landhauses, und als Prinz Albrecht, kommandierender General, vorbeiritt, wurden auf ihn und das begleitende Militär Steine, Stücke Holz und dergleichen geworfen. – Da läßt er halten und kommandiert „Feuer“. Über 20 Menschen blieben am Platze. (…) Da die meisten unbewaffnet oder nur mit Knüppeln, Holzstücken und dergleichen versehen waren, wurden sie von einer Abteilung Kavallerie leicht in die Flucht geschlagen. Mehrere fielen.

Abends war die ganze Stadt illuminiert. Das bürgerliche Zeughaus wurde geöffnet und den Studenten Waffe n verabfolgt, damit sie die Ruhe in der Stadt erhalten. Viele Patroullien von bewaffneten Studenten durchzogen die Stadt, von den Einwohnern Wiens mit ungeheurem Bravo und Vivatgeschrei begleitet. (…)

Während indes die Studenten so tätig auf die Erhaltung der öffentlichen Ordnung hinarbeiteten, ließen sie keinesfalls den ihnen vorschwebenden Zweck aus den Augen. Fürst Metternich, Bürgermeister Czapka, Zensurminister Sedlnitzky, Prinz Albrecht und andere unwürdige Minister und hochgestellte Personen mussten abdanken.“1

MetternichFürst Metternich musste fliehen, Ferdinand der Gütige auf die Forderungen der Bürger zunächst eingehen: Die Pressefreiheit wurde garantiert. Eine solch freie Presse hat es wohl in der Geschichte nie mehr gegeben, wie in dieser Zeit: Über einhundert neue Zeitungen erschienen, von denen freilich nur die allerwenigsten länger als ein Jahr überlebten.

 Doch nachdem d ie ersten Forderungen erfüllt waren und sich eine gewisse Zufriedenheit bei einigen Parteien (z.B. den Baue rn) einstellte, lag der Reaktionismus schon wieder in der Luft. Das alte System war nicht aufgelöst worden, der Staatsapparat funktionierte noch und schien langsam wieder Oberhand zu gewinnen. Die Revolutionäre wollten ihre Interessen wahren, wehrten sich gegen den Reaktionismus und errichteten kurzerhand Barrikaden an verschiedenen Stellen in Wien, die größte direkt vor der Hofburg.

Als Johann Strauß Sohn in Wien ankam, schloss er sich sogleich den Freiheitskämpfern an und komponierte mehrere Stücke: Die Barrikaden-Lieder, den Revolutionsmarsch, die Scherzpolka Ligourianer-Seufzer, den Brünner Nationalgarde-Marsch, die Studentenpolka und den Studentenmarsch. Er unterstütze durch seine Kompositionen die Strömung und bezog damit auch eine deutliche politische Haltung.

Auch der Vater stellte sich zunächst auf die Seite der Revolutionäre, komponierte den Österreichischen Nationalgarde-Marsch. Auch mit dem Marsch der Studentenlegion zeigte er seine Sympathien. In vielen Biographien hingegen wird hingegen dieser Umstand vereinfacht dargestellt: Strauß Vater wäre ganz im Dienst der konservativen, der Sohn im Dienst der neuen Bewegung gestanden.

Einige der Stücke des Juniors wurden verboten. Er musste sich sogar für den öffentlichen Vortrag der Marseillaise vor der Polizei verantworten. Durch seine Gewitztheit und Redegewandheit konnte er sich jedoch aus der A nklage herauswinden.

Eines der erwähnten Stücke verdient besonderer Erwähnung: Die Scherzpolka Ligourianer-Seufzer. Die Vertreibung des Ligourianer-Ordens wurde von den Revolutionären als großer Erfolg gefeiert. Sie identifizierten mit diesem einen besonders ausgeprägten Konservatismus. Nachdem die Ligourianer noch dazu bei dem Versuch scheiterten, eine große Menge Silber aus der Stadt zu schmuggeln, waren sie besonderem Hohn ausgesetzt. Johann Strauß Sohn nahm sich sogleich des Ereignisses an, indem er die Scherzpolka komponierte. Im Trio dieses Stückes hat er eine sogenannte Katzenmusik komponiert.

Carl Wilhelm Ritter erklärt die Wirkung dieser speziellen musikalischen Darbietung:

„Um einige Zopfträger des alten Systems (…) zur Niederlegung ihrer mißbrauchten Würden zu zwingen, kam ein originelles Mittel aufs Tapet: die Katzenmusik. (…) Es sind dies Pfeifen, Trommeln, Ratschen, Leierkästen usw., aber die Hauptsache bei diesen Teufelssymphonien sind die Katzenstimmen, welche von den Studenten mit unaussprechlicher Meisterschaft nachgeahmt werden.

Auch fehlt Hundegebell, Hahnengekräh, Rabengeschrei, Paukenlärm, Bratpfannengetön nicht dabei. Im Ernst, lieber Vater, solche Katzenmusiken, wie sie dem Erzbischof Milde, der die verjagten Jesuiten oder Ligourianer und auch der Polizei dargebracht wurden, sind eine wahre Höllenmusik. Der Lärm ist so groß, dass man ihn manchmal, bei günstigem Wind, von der inneren Stadt bis in meine Wohnung auf die Landstraße hört.“2

Nach mehreren Monaten der Besetzung wurde jedoch der Wunsch nach Ruhe und Frieden stärker bei den Bürgern. Besonders die militärischen Erfolge habsburgischer Generäle brachten dem alten System wieder einige Sympathien ein, v.a der Sieg des Generals Radetzky über die italienischen Truppen in der Lombardei. Auch Johann Strauß Vater sehnte ein Ende der Verwirrungen herbei. Er komponierte auf den Sieg des Generals das Stück, das als einzige seiner Kompositionen Weltruhm erlangte: Den Radetzky-Marsch.

Trotz der eifrigen Bemühungen der Studenten und Nationalgarden konnte der revolutionäre Zustand nicht aufrecht erhalten werden. Am 26. Oktober belagerten kaiserliche Truppen die Stadt Wien und beschossen die Stadt. Nach fünftägigen Kämpfen, in denen die Revolutionäre Unterstützung durch das ungarische Herr bekamen, siegten die kaiserlichen Truppen. Beide Seiten hatten mehr als 2000 Gefallene zu beklagen.3

Man kundschaftete ehemalige Revoutionäre aus und hielt Gericht, 128 Todesurteile wurden ausgesprochen. Johann Strauß Sohn indes wechselte sofort die Fronten und versuchte sich mit viel Nachdruck in den Dienst der Sieger zu stellen. Er konnte es gar nicht eilig genug damit haben, schnellstens seine neuen, kaisertreuen Stücke zur Aufführung zu bringen, um jedermann seine Haltung deutlich zu machen.

Das Kapitel über das Jahr 1849 wird in den Biographien oft mit dem Tod des Vaters ausgefüllt, zweifellos ein folgenschweres Ereignis für den Sohn. Seine politische 180-Grad-Wendung hingegen wird oft nur am Rande erwähnt, meistens aber komplett unterschlagen. Scheinbar wollten einige Biographen dem Gedanken ausweichen, dass Johann Strauß Sohn sich mit seiner Musik nur in den Dienst herrschender Zeitströmungen stellte und dabei keineswegs politische oder idealistische Ziele verfolgte, sondern lediglich auf seinen eigenen Erfolg bedacht war.

Auch wenn man eine solche Haltung aus den Quellen in solcher Deutlichkeit nur schwer ableiten kann, ist es doch gerade das Schweigen der Biographen, die eben dieselbe wahrscheinlicher erscheinen lassen, als wenn sie pflichtbewusst darüber berichtet hätten.

RadetzkyDeutlich formuliert es hingegen die Historikerin Brigitte Hamann. Das Musikstück (1849 komponiert), das sie erwähnt, kommt in kaum einer Biographie vor:

„Strauß Vater demonstrierte seine konservative Überzeugung und besuchte 1849 bei einer Konzertreise in England den exilierten Fürsten Metternich, der nun wieder als Autorität galt. Als Strauß im September 1849 an einer Infektion starb, trat sein Sohn sofort in die väterlichen Fußstapfen und übernahm dessen Orchester.

Und, Revolution hin oder her: Der Junior wechselte nun die Fronten, bemühte sich um die Gunst des jungen Kaisers und komponierte den Kaiser Franz Josephs-Marsch auf den kaiserlichen Wahlspruch „Viribus Unitis“ („Mit vereinten Kräften“). Der alte Fürst Metternich kehrte 1851, drei Jahre nach seiner erzwungenen Flucht (…) nach Wien zurück (…).

Bezeichnend für die Rolle, die die Revolution von 1848 im österreichischen Gedächtnis spielt, gelten bis heute nicht die Freiheitskämpfer und Demokraten des Jahres 1848/49, sondern die Generäle, die die Revolution erstickten: Jellacic, Windischgrätz, vor allem aber Radetzky. Beim jährlichen Wiener Neujahrskonzert, das im Fernsehen live in alle Welt übertragen wird, wird als fixer Programmpunkt vor dem abschließenden Donauwalzer der Radetzky-Marsch von Johann Strauß (Vater) gespielt.”4

Von Alexander Fischerauer


1 Frank-Döfering, Peter: Die Donner der Revolution über Wien, 1988, S. 32 ff

2 Frank-Döfering, Peter: Die Donner der Revolution über Wien, 1988, S. 67f

3 Ebd., frei zitiert nach S. 24

4 Hamann, Brigitte: Österreich, 2009, S. 77