Worin unterscheiden sich erfolgreiche von weniger erfolgreichen Streichquartetten? Ist es die Virtuosität der ersten Geige, die Magie des Stückes, die gute Atmosphäre im Ensemble oder nur purer Zufall? Psychologisch gesehen ist ein Streichquartett in erster Linie eine Gruppe, die intensiv zusammenarbeitet. Eine Gruppe besteht aus zwei oder mehr Personen, die miteinander interagieren und insofern aufeinander angewiesen sind, als ihre Bedürfnisse und Ziele eine gegenseitige Beeinflussung bewirken. Streichquartette sind eine einzigartige Form einer Arbeitsgruppe.

Sie unterscheiden sich in mindestens zweierlei Hinsicht von anderen Gruppen: Sie sind selbstverwaltet in dem Sinne, dass sie sich selbst organisieren müssen und ihre Arbeit ist extrem intensiv, weil sie sind künstlerisch tätig sind, unmittelbar miteinander interagieren und jeweils in besonders hohem Maße voneinander abhängig sind.

Nach Smith und Berg (1987)1 müssen Gruppen mit mancherlei gegebenen und unlösbaren Paradoxa umgehen, die sie akzeptieren, konfrontieren und managen müssen. Ein Paradoxon wurde in diesem Zusammenhang als eine widersprüchliche, auf sich selbst bezogene Aussage definiert, die einen Teufelskreis verursacht.

Da nach Smith und Berg Paradoxa in allen Gruppen gegeben sind, ist es unmöglich diese Widersprüche aufzulösen, da dieser Versuch zu einem endlosen, logischen Konflikt und zum Stillstand der Gruppe führen würde. Daher müssen Gruppen offen und in der Lage sein, Gegenargumente der Gruppenmitglieder zuzulassen und zu akzeptieren. Das Paradoxon soll deshalb verstanden, akzeptiert und angenommen werden. So viel zur zugrunde liegenden Theorie!

Britische Psychologen, die sich mit Musikern beschäftigten, führten zum Zusammenhang zwischen dem Erfolg von Streichquartetten und ihrer internen Gruppendynamik eine groß angelegte Studie durch. Zu diesem Zweck untersuchten sie in zahlreichen Interviews 20 professionelle Streichquartette in Großbritannien.

Diese Streichquartette wurden in den 80er Jahren erstmalig befragt. In einer Folgeuntersuchung zehn Jahre später wurde recherchiert, ob die Streichquartette noch existierten und wie erfolgreich sie inzwischen waren. Zum damaligen Zeitpunkt waren das so gut wie alle professionellen Streichquartette Englands und Schottlands. Viele der Musiker haben die London’s Royal Academy of Music abgeschlossen. Zum Zwecke der Untersuchung wurden die Streichquartette in erfolgreiche und weniger erfolgreiche eingeteilt. Diese Einteilung erfolgte auf der Basis der Gage pro Konzert, der Anzahl der herausgebrachten Alben, sowie der Nennungen in den Medien und der Konzerte. Die Forscher der britischen Studie haben anhand ihrer Interview-Studien mit den Musikern drei wesentliche Paradoxa herausgearbeitet:

The Leader versus Democracy Paradox

In Streichquartetten hat meistens die erste Geige die Führung. Die meisten Musiker berichten allerdings, dem Quartett beigetreten zu sein, um (z.B. im Gegensatz zum Spielen im Orchester) mitbestimmen zu können, wie sie spielen. Theoretisch kann jeder Musiker zu einem Viertel im musikalischen und wirtschaftlichen Bereich mitbestimmen. Die Musiker teilen schließlich auch zu gleichen Teilen die Einnahmen von Konzerten etc. Allerdings ist der erste Geiger bei musikalischen, repräsentativen, wie auch bei administrativen Aufgaben die Ansprechperson.

In erfolgreichen Quartetten erkennen die Musiker, dass sie eine Führungsperson benötigen und dass diese Rolle die erste Geige übernimmt. Sie gibt zwar den Ton an, beansprucht allerdings nicht die alleinige Entscheidungsmacht in allen Bereichen, sondern initiiert demokratische Abstimmungen. Weniger erfolgreiche Quartette haben entweder mit einer führungsunwilligen und/oder wenig inspirierenden ersten Geige zu kämpfen oder einem sturen Einzelkämpfer, der demokratisches Miteinander vorgaukelt, um spätestens im Konzert seinen Willen durchzusetzen.

The Paradox of the Second Fiddle

Die zweiten Geigen haben einen einzigartigen Rollenkonflikt: Einerseits müssen sie vollendete musikalische Fähigkeiten haben, andererseits kommt ihr Talent selten zum Tragen, da sie eine eher unterstützende Funktion haben. Daher bekommen diese Musiker wenig Aufmerksamkeit und Wertschätzung vom Publikum, obwohl sie natürlich eine wichtige Funktion im Streichquartett haben.

Die meisten Quartettmusiker erkennen die Schwierigkeiten der Position der zweiten Geige an. In erfolgreichen Streichquartetten wird die Rolle der ersten Geige eher mit einer entsprechenden Persönlichkeit als mit besseren Fähigkeiten begründet. Das heißt, dass die zweiten Geigen nicht schlechter spielen als die ersten, sondern z.B. lediglich extrovertierter sind. Die zweiten Geigen werden darüber hinaus von ihren Kollegen wertgeschätzt und unterstützt.

In weniger erfolgreichen Quartetten zeigten sich die ersten Geigen dagegen weniger verständnis- und respektvoll gegenüber ihren direkten Kollegen.

Obwohl die zweiten Geigen in erfolgreichen Quartetten eher ihre Rolle akzeptierten, unterschieden sie sich nicht von ihren weniger erfolgreichen Kollegen im Wunsch die erste Geige spielen zu wollen.

The Conflict Paradox: Confrontation versus Compromise

Konflikte sind in Gruppen unvermeidbar. Die Interpretation eines musikalischen Werkes lässt viel Raum für Diskussionen und Meinungsverschieden+heiten. Einerseits stören Konflikte, die auch verletzen können und daher eine Lösung benötigen, andererseits können sie durchaus förderlich sein, indem sie einen Wandel herbeiführen, eine andere Sichtweise eröffnen, die Kreativität fördern. Konfliktvermeidung kann daher zu unerwünschten Nebeneffekten führen wie etwa Frustration. Kompromisse können aber auch zur allgemeinen Unzufriedenheit durch eine Einigung führen, die keinem gefällt.

Erfolgreiche Quartette wandten unbewusst wirksame Strategien bei der Konfliktbewältigung an. Oft ließen sie die Konflikte erst einmal unbearbeitet und ermöglichten damit allen Beteiligten eine Auszeit. Bei kleineren und unwichtigen Konflikten verschwinden manche Probleme dann einfach, weil auch das Interesse verloren geht, die Themen wieder aufzurollen. Nur wichtige Belange kommen dann doch wieder hervor.

Erfolgreiche Quartette gingen nicht offen Kompromisse ein, vermieden aber kontinuierliche Streitereien. Sie einigten sich z.B. im ersten Konzert ein Werk so zu spielen, wie die eine Partei es wollte und im anderen Konzert anders. Meist kam es aber gar nicht zur Umsetzung dieser Abmachung, denn im Zuge der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen übernahmen die Musiker Anteile beider und kombinierten diese. Außerdem hatte oft die erste Geige eine vermittelnde und konfliktlösende Rolle, was im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Paradoxon „Leader versus Democracy“ steht.

Des Weiteren wandten erfolgreiche Quartette folgende Strategien an: Die Musiker gaben nicht nach, wenn ihnen ein Anliegen besonders wichtig war. Insgesamt spielten die Musiker in Proben wesentlich mehr, als sie diskutierten und erachteten dies als sinnvoll. Außerdem hatten sie implizite Regeln, was gesagt werden durfte und was nicht. Sie waren sich darin einig, dass Konflikte produktiv sind und schließlich auch, dass sie alle ein gemeinsames übergeordnetes Ziel verfolgten.

Die Konfliktlösungsstrategien weniger erfolgreicher Streichquartette waren hingegen viel ineffektiver: Viele vermieden einfach jegliche Art von Konflikten. Sie duldeten die Auseinandersetzung und zeigten sie im unpassendsten Moment: im Konzert. Sie diskutierten in den Proben viel mehr und gingen oft sog. „faule“ Kompromisse ein, bei denen sich die Parteien auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigten, jedoch im Grunde keine einen Vorteil erhielt. Daher tauchten ungelöste Konfliktthemen immer wieder auf, auch wenn diese angeblich geklärt worden waren.

Neben diesen Paradoxa stellt sich auch die Frage was in einem Streichquartett für mehr Frieden sorgt und zu konstruktiver musikalischer Arbeit beiträgt: Gegensätze ziehen sich an oder Gleich und Gleich gesellt sich gern?

Während sich erfolgreiche und weniger erfolgreiche Streichquartette nicht in ihrer Vorliebe für bestimmte Komponisten unterschieden, waren doch Unterschiede hinsichtlich ihrer musikalischen Ausrichtung und ihrer Beziehung zueinander erkennbar. Erfolgreichere Quartette berichteten einstimmig von ihrem Enthusiasmus und Leidenschaft für ihr Repertoire. Sie schätzten ihre Quartettkollegen als sehr ähnlich in wesentlichen Punkten ein und sagten oft, dass sie vordergründig zusammenkämen, um wundervolle Musik zu spielen und dass alles andere zweitrangig sei. Meistens waren die Musiker auch untereinander befreundet. Ihr Fokus war primär auf sie als Gruppe gerichtet; sie waren in erster Linie Publikum füreinander. Ähnlichkeit der Musiker hinsichtlich Alter scheint sich dabei insgesamt positiv auf Erfolg und Stabilität auszuwirken.

Die Musiker weniger erfolgreicher Streichquartette sahen einander, ihren Stil und die Musik, die sie spielten, negativer. Sie schätzten Ähnlichkeit als weniger förderlich ein. Sie richteten sich auch eher danach, was ihr Publikum hören wollte und wie es reagierte. Die Musiker berichteten auch wesentlich öfter über wenig Inspiration.

Do’s und Dont’s für Quartettmusiker

Aus den Ergebnissen können folglich einige Ratschläge für eine erfolgreiche und zufriedenstellende Ensembletätigkeit abgeleitet werden:

• Auf Basis von Sympathie und bestenfalls Freundschaft zusammenarbeiten

• Bei Unterschiedlichkeit Gemeinsamkeiten finden oder stiften

• Beiträge eines jeden Ensemblemitglieds zum Gelingen eines Werkes wertschätzen und Respekt zollen

• Ein gemeinsames und verbindendes Ziel vor Augen haben

• In den Proben weniger diskutieren, stattdessen mehr spielen

• Konflikte nicht vermeiden und mit nach Hause nehmen

• Keine „faulen“ Kompromisse eingehen

• Die Führungsrolle der ersten Geige überlassen, aber auch demokratisch abstimmen bei Uneinigkeit

• Wichtige Themen ansprechen

• Auf Kosten der Qualität in den Konzerten nicht den eigenen Kopf durchsetzen

• Publikum füreinander sein


Von Elena Dinkevych

1Murningham, J. Keith & Conlon, Donald E. (1991). „The Dynamics of Intense Work Groups: A Study of British Quartets“. Administrative Science Quarterly, 36, 165-186.