Wolfgang Hildesheimer geht in seiner Mozart-Biographie einen unkonventionellen Weg, vergleicht man seine Methode mit denen vieler anderer Mozart-Biographien. Er vermittelt neben der schrittweisen biographischen Annäherung an Mozart auch viele methodische Aspekte zum biographischen Arbeiten überhaupt sowie zur Quellenbewertung.

Solch eine gründlich durchdachte Methodik taucht bei den Mozart-Biographen in dieser Form hier zum ersten Mal auf. Freilich ist damit die für viele Leser wohl unerfreuliche Erkenntnis verbunden, wie wenig man über Mozart als Mensch eigentlich wissen kann und auf welch spekulative Weise wir uns seine Person lediglich vorstellen können.

Behandlung der Quellen

Die existierenden Primärquellen sind fast ausschließlich Briefe Mozarts an seinen Vater, seine Frau Constanze, Freunde, Wegbegleiter etc., übrigens eine wahre Unmenge von Quellen-Material. Hildesheimer zeigt an vielen Beispielen, wie schwer die Briefe zu interpretieren sind und wie schwer sie Rückschlüsse auf Mozarts Person zulassen: Denn Mozart war gewissermaßen ein Meister brieflicher Verstellungskunst; Er ließ den Empfänger nur das wissen, was er hören sollte oder wollte.

In einem Mozart-Artikel in der Musikfreunde (Ausgabe Mai/Juni 2012, S. 44) schreibt Rüdiger Görner: „Zu entscheiden, was bei ihm Maske war, was Gesicht, sei den in seinem Fall – mit Ausnahme von Alfred Einstein, Wolfgang Hildesheimer und Georg Knepler – völlig überforderten Biographen überlassen.“

Neben den Briefen zählen als weitere wichtige Quellen die überlieferten Gespräche und Schriften Constanzes, die aber fast ausschließlich nach Mozarts Tod entstanden, manche erst nach 30 Jahren. Auch hier mahnt Hildesheimer zur Zurückhaltung, denn die Legenden und Mythenbildung, verbunden mit dem Streben der Mozart-Zeitgenossen nach etwas Nachruhm spielt eine große Rolle.

Beispielsweise gab es einige verschiedene Zeitgenossen, von denen ein jeder derjenige gewesen sein will, der Mozart am Sterbebett die letzte Ehre erwies. Durch diese Vorgehensweise hinsichtlich der Quellenbeurteilung räumt Hildesheimer mit Vorurteilen und Spekulationen auf, die Mozart umranken, vor allem mit denjenigen, die um seinen Tod kursieren.

Biographische Methode

Sehr oft weist Hildesheimer auf grundsätzliche Probleme von Biographien hin, beispielhaft erläutert an verschiedensten Mozart-Biographen. Der Gefahr der Helden-Stilisierung, die bei anderen Biographen (v.a. des 19. Jahrhunderts) ein Unterschlagen der für ihr Mozart-Ideal ungünstig erscheinenden Fakten zur Folge hatte, sucht er auszuweichen. Denn ein solches Künstlergenie, wie es die Welt kaum je gesehen hat, muss für viele Biographen im Leben ebenso glänzend und vorbildhaft dastehen wie in der Kunst. Krampfhaft wurde versucht, der Leserschaft den Künstler als Vorbild, vor allem auch hinsichtlich der Tugenden, zu zeichnen, so dass er nahezu als Heiliger erscheinen musste.

Die von Hildesheimer angewandte Methode ist mit viel Lob zu versehen, denn es zeigt sich, dass er diese praktisch auch wirklich umsetzt. Manchmal allerdings widersteht auch er den Gefahren nicht, die er ja selbst analysiert und genannt hat. Subjektive Bewertungen einzelner Briefe, seine Randbemerkungen zu Wagners Oper und Drama sowie zur Person Beethovens zeigen Schwächen (übrigens sind dies die einzigen beiden anderen Komponisten außer Mozart, die im Buch einen bedeutenderen Platz einnehmen). Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier der Zeitgeist seinen Anteil geleistet hat.

Diese kleinen diskutablen Ausweichungen sind aber durchaus zu vernachlässigen, gemessen an der Informationstiefe des Buches. Insgesamt ist dieses Werk jedem Mozart-Interessierten zu empfehlen, da wohl in kaum einer anderen Mozart-Biographie ein solch vielseitiger Blickwinkel auf das Leben und das Werk des Komponisten ermöglicht wird.

Von Alexander Fischerauer